Eigentlich «ganz lieb»: 19-Jähriger muss acht Jahre ins Gefängnis Von Thomas Strünkelnberg, dpa

Ein Kugelschreiber als Stichwaffe, ein Mithäftling als Opfer: Im
Jugendgefängnis Hameln hat ein junger Mann brutal auf einen anderen
Gefangenen eingestochen. Jetzt muss er für acht Jahre ins Gefängnis.
Und der Richter gibt ihm einen Rat mit auf den Weg.

Hannover (dpa/lni) - Eigentlich sei er «ganz lieb und ganz
ängstlich», so beschreibt er sich selbst im Gespräch mit einem
psychiatrischen Gutachter. Andererseits hat der 19-Jährige aus einem
Kugelschreiber eine Stichwaffe gemacht und auf einen Mithäftling im
Jugendgefängnis Hameln eingestochen. Er verletzt ihn an Kopf und
Hals. Das Landgericht Hannover geht von einem Mordversuch aus: Acht
Jahre Jugendstrafe lautet das Urteil unter Einbeziehung früherer
Urteile, die Anordnung der Sicherungsverwahrung bleibt vorbehalten -
nach seiner Strafe wird der junge Mann damit erneut von Psychiatern
unter die Lupe genommen.

Der Verurteilte habe vorsätzlich und heimtückisch gehandelt und die
Wehrlosigkeit des Opfers genutzt, sagt der Vorsitzende Richter Stefan
Lücke am Donnerstag zur Begründung. Auch ein Schmerzensgeld von 2000
Euro für das Opfer verhängt er. Ein mitangeklagter 22-Jähriger, der
das Opfer laut Anklage ausgewählt haben soll und wegen Beihilfe vor
Gericht steht, wird freigesprochen. Auch nach Einschätzung der
Staatsanwältin kann seine Beteiligung nicht mit Sicherheit
festgestellt werden.

Die Vorwürfe gegen den 19-Jährigen: Im Oktober 2019 wird er aus der
psychiatrischen Abteilung der Jugendanstalt in eine Wohngruppe
verlegt, darüber sei er «nicht glücklich» gewesen, sagt die
Staatsanwältin. Er versucht an eine Rasierklinge zu kommen, das
misslingt und er baut eine Waffe aus dem Kugelschreiber. Aus heiterem
Himmel fällt er über sein ahnungsloses Opfer her. Anders als zuvor
sagt er in der Verhandlung, er habe den Mann, einen Sexualstraftäter,
nicht töten, sondern ihm einen «Denkzettel» verpassen wollen. Zum
Schluss sagt er, es tue ihm leid, dass er zugestochen habe.

Der Sachverständige, ein Experte für Kinder- und Jugendpsychiatrie,
zeichnet allerdings ein verstörendes Bild des 19-Jährigen: Er zeige
antisoziale Tendenzen, eine ausgeprägte Rückfallneigung und eine
schwere Persönlichkeitsstörung. Der Gutachter spricht von
«Zerrissenheit» und Gewaltfantasien des jungen Mannes, dessen
Selbstbild «fragil» sei, der an inneren Konflikten, einer pädophilen

Störung und Narzissmus leide.

Schon mehrfach hat der Psychiater mit dem heute 19-Jährigen zu tun
gehabt - Sexualdelikte, Gewaltdelikte und Brandstiftung werden ihm
vorgeworfen. Bereits im Kindergarten sei er auffällig gewesen, seine
Gefährlichkeit sei aber nicht gesehen worden. Er habe seine jüngere
Schwester missbraucht und sei selbst missbraucht worden. Der
Gutachter erklärt, der junge Mann sei bei der Tat im Jugendgefängnis
nach eigener Einschätzung «voller Adrenalin» gewesen, gefühlt habe
er
nichts. Auch bescheinigt er Mangel an Einsicht - die Schuld habe er
beim Opfer gesehen, der Mann sei schließlich Sexualstraftäter.

Auch die Staatsanwältin meint, er habe sein Opfer bestrafen wollen,
er «hielt sich für etwas Besseres». Die Anwältin des Opfers wiederu
m
beklagt, noch im Gerichtssaal habe der 19-Jährige sein Opfer
beschimpft, Reue sei nicht zu erkennen. «Entwicklungspotenzial» sieht
sie bei ihm nicht. Lücke erklärt, der Verurteilte habe sich zum
Richter aufschwingen wollen, auch habe er sein Ansehen unter den
Häftlingen verbessern wollen.

Der Gutachter urteilt, weitere Taten seien zu erwarten. Ob eine
Therapie sinnvoll sei? Dazu sagt er - schließlich sei er
«grundsätzlich ein sehr optimistischer Mensch»: Das gehe nur mit
intensiver Psychotherapie, vier Jahre lang, zwei mal pro Woche. «Hier
ist ein Höchstmaß an erzieherischer Einwirkung notwendig», betont der

Richter. Und gibt dem Verurteilten mit: «Geben Sie sich nicht auf,
Sie sind therapierbar.»