AfD stellt sich quer - Bundesparteitag in Corona-Zeiten Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa

In Kalkar am Niederrhein treffen sich rund 600 AfD-Delegierte, um
über ein sozialpolitisches Konzept abzustimmen - unter strengen
Hygieneauflagen. Dabei hatte die Partei zuletzt vor allem durch ihren
Schulterschluss mit Gegnern der Anti-Corona-Maßnahmen auf sich
aufmerksam gemacht.

Berlin (dpa) - Nach anfänglichem Zögern hat sich die AfD den
Corona-Skeptikern als Sprachrohr angeboten. Sie wettert gegen eine
vermeintliche «Corona-Diktatur» und solidarisiert sich mit der
«Querdenker»-Bewegung. Da ist es nicht überraschend, dass sich die
Rechtspopulisten auch in Pandemie-Zeiten, wo bundesweit
Kontaktbeschränkungen gelten, mit mehr als 600 Menschen in einer
Halle versammeln. Die Option, ersatzweise einen Online-Parteitag zu
organisieren, wie es die Grünen am vergangenen Wochenende gemacht
haben, ist im Parteivorstand der AfD nie ernsthaft diskutiert worden.

Bei internen Veranstaltungen kam es in den vergangenen Wochen nach
Angaben von Teilnehmern mehrfach vor, dass AfD-Funktionäre, die auf
Abstand gingen und den Handschlag verweigerten, bei Parteikollegen
auf Unverständnis stießen. Denn viele Politiker der auf ein
klassisches männliches Rollenbild ausgerichteten Partei halten
Covid-19 für eine relativ harmlose Grippe. Der gesundheitspolitische
Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Detlev Spangenberg, - selbst
kein Mediziner - gab Mitte November die Linie vor. Er sagte: «Nach
dem jetzigen Kenntnisstand ist der neue Coronavirus vom
Krankheitsverlauf und der Letalität mit einer Influenza zu
vergleichen, womit keine der schwerwiegenden Maßnahmen
verhältnismäßig ist.»

Auf ihrem zweitägigen Parteitag im nordrhein-westfälischen Kalkar,
der am Samstag beginnt, will die AfD aber nicht über Covid-19,
sondern über sozialpolitische Fragen und ein Rentenkonzept beraten.
Das sind Themen, zu denen in ihrem Parteiprogramm bislang noch nicht
viel steht - auch, weil sich hier über Jahre zwei Lager unversöhnlich
gegenüberstanden: Diejenigen, die in Migrationsfragen besonders weit
rechts, aber in sozialpolitischen Fragen eher links stehen. Die also
weniger auf private Vorsorge, sondern auf mehr staatliche Fürsorge
setzen. Auf der anderen Seite stehen AfD-Mitglieder, die sich selbst
als «wirtschaftsliberal» und «bürgerlich» bezeichnen.

Abgeordnete, Selbstständige und ein Großteil der Beamten sollten nach
den Vorstellungen der Programmkommission der AfD künftig auch
Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlen. Ihr Leitantrag
sieht nur Ausnahmen für Polizisten, Staatsanwälte und andere mit
hoheitlichen Aufgaben betraute Beamte vor. Sie sollten weiterhin
Beamtenpensionen erhalten. Selbstständige sollten sich demnach nur
dann der gesetzlichen Rentenversicherung entziehen können, wenn sie
eine private Altersvorsorge nachweisen.

Dazu gibt es mehrere Änderungsanträge. Fast allen gemeinsam ist die
Überzeugung, Zuwanderung sei kein gangbarer Lösungsweg zur
Finanzierung der Rente künftiger Generationen. Die AfD setzt
stattdessen auf politische Instrumente, um die Geburtenrate zu
erhöhen. Dabei sind ihnen finanzielle Vorteile für Eltern wichtiger
als Investitionen in zusätzliche Hort- und Kita-Plätze.

Ein Modell für ein Grundeinkommen nur für deutsche Staatsbürger wird

der Brandenburger Bundestagsabgeordnete René Springer in Kalkar
vorstellen. Hinter seinem Antrag stehen neben anderen auch Parteichef
Jörg Meuthen und - mit einigen Einschränkungen - der Co-Vorsitzende
Tino Chrupalla.

Das Konzept sieht vor, dass jeder deutsche Staatsangehörige, der sich
dauerhaft im Inland aufhält, von Geburt an monatlich 500 Euro vom
Staat bekommt - und zwar ohne Antrag und Bedarfsprüfung. Wer genug
verdient, würde nach diesem Modell am Ende des Jahres weniger
Einkommensteuer zahlen anstatt das Geld ausgezahlt zu bekommen -
ähnlich wie heute schon beim Kindergeld. Ausländer sollen nach
Vorstellungen der AfD-Politiker dagegen weiterhin einen Antrag
stellen müssen, um nach einer Bedürftigkeitsprüfung Sozialleistungen

zu beziehen. «Ich bin überzeugt, dass der Vorschlag auf Erprobung des
Staatsbürgergeldes oder ähnlicher Modelle auf dem Parteitag eine
Mehrheit finden wird», sagt Springer.

Zu seinen parteiinternen Gegnern in Sachen Grundeinkommen gehört dem
Vernehmen nach sein Fraktionskollege Albrecht Glaser. Auf die Frage,
ob sich die AfD mit seinem Vorschlag nun endgültig vom
wirtschaftsliberalen Kurs der Anfangszeit verabschiede, antwortet
Springer: «Ganz im Gegenteil. Konzepte wie das Staatsbürgergeld
können das vereinigende Element zwischen den liberalen und sozialen
Kräften in der AfD sein.»

Meuthen stand in diesem Jahr intern mehrfach im Feuer. Vor allem von
Anhängern des ehemaligen «Flügels», der vom Verfassungsschutz
inzwischen als rechtsextremistische Bestrebung beobachtet wird, gab
es heftige Kritik am Parteichef. Sie nahmen ihm übel, dass er im
Bundesvorstand einen Mehrheitsbeschluss zur Annullierung der
Mitgliedschaft des früheren brandenburgischen Landeschefs Andreas
Kalbitz wegen rechtsextremer Bezüge herbeigeführt hat. Von Plänen,
auf dem Parteitag Meuthens vorzeitige Abwahl zu fordern, war aber
zuletzt nichts mehr zu hören. Durch das Ausscheiden von Kalbitz, der
Beisitzer war, und durch den Rücktritt des langjährigen
Schatzmeisters Klaus Fohrmann sind in Kalkar aber dennoch zwei
Vorstandsposten neu zu besetzen.