Arzneien «made in Europe»? EU will Lehren aus der Pandemie ziehen Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

Moderne, wirksame Medikamente für alle, und das zu einem
erschwinglichen Preis. Die neue Pharma-Strategie der EU-Kommission
hat ehrgeizige Ziele. Aber lassen die sich unter einen Hut bringen?

Brüssel (dpa) - Als die Pandemie kam, zeigte sich Europa verwundbar.
Abhängig von Arzneimittelimporten aus Asien, wo die Produktion
stillstand. Ohne eigene Hersteller von Gesichtsmasken und
Schutzkleidung, die nun alle händeringend suchten. «All das müssen
wir ändern», sagte EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas am Mittwoch
zur neuen EU-Pharma-Strategie. «Das ist keine Raketentechnik.» Ganz
banal ist es aber auch nicht. Und am Ende auch eine Frage des
Preises.

«Wir müssen sicherstellen, dass Medikamente immer bereitstehen, auch
in Krisenzeiten», formulierte Schinas das Ziel der Strategie.
Preiswerte, verfügbare und sicherer Medizin für alle lautet die
Überschrift des Kommissionspapiers. Versammelt sind darin eine ganze
Reihe von Punkten - die allgemeine Verfügbarkeit von Antibiotika,
Krebsmedikamenten oder Arzneien gegen seltene Krankheiten; Anreize
für Innovationen; eine umweltfreundliche, «grüne» Produktion und
Nutzung von Arzneien.

Aber auch eine engere Zusammenarbeit der EU-Staaten bei Regeln für
Preisfindung, Bezahlung und Beschaffung von Arzneien wird angeregt,
um die Kostenlast für Bürger und Gesundheitssysteme zu begrenzen.
Immerhin wurden schon 2018 etwa 190 Milliarden Euro für Medikamente
ausgegeben, zuzüglich der Kosten für Arzneien in Kliniken. Jeder
zweite Haushalt in der EU empfindet Medikamentenkosten als Belastung
oder sogar große Belastung.

«Die heute vorgestellte Strategie hilft der pharmazeutischen
Industrie, wettbewerbsfähig und innovativ zu bleiben, spricht aber
auch die Bedürfnisse unserer Patienten und Gesundheitssysteme an»,
zeigte sich Schinas sicher.

Das allerdings könnte eine Art Quadratur des Kreises sein:
Versorgungssicherheit, Produktion in Europa und gleichzeitig niedrige
Preise. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI)
erinnert jedenfalls in seiner Stellungnahme zur Strategie daran,
warum die Herstellung von herkömmlichen Arzneien fast vollständig
nach Asien abgewandert ist: das Kostenargument.

«Die Abhängigkeit von anderen Weltregionen rührt von der Tatsache
her, dass es über die Jahre schwieriger geworden ist, Medikamente -
und vor allem Medizinprodukte ohne Patent - in einer wirtschaftlichen
Art und Weise in Europa zu produzieren», heißt es in dem Papier. Es
sei ein «Preiswettlauf nach unten» gewesen, der viele Hersteller zur
Abwanderung gebracht habe. Um Produktion in Europa zu halten und neu
zu entwickeln, müsse ein «attraktives Umfeld für neue Technologien»

geschaffen werden und keinesfalls «Überregulierung».

Wie die EU-Kommission etwa das Problem der Versorgungsengpässe genau
angehen will, ist vorerst offen. Die Ursachen seien nicht leicht zu
analysieren, sagte Schinas. Deshalb habe man erst einmal eine große
Studie in Auftrag gegeben, die nächstes Jahr vorliegen soll. Konkrete
Gesetzgebungspläne zur Strategie sollen ohnehin erst nach und nach
vorgestellt werden. Doch gibt es bereits die Ansage, das gesamte
pharmazeutische Regelwerk zu überarbeiten. Nötig seien sowohl
vorsorgende als auch regulierende Maßnahmen, hieß es.

Es dürfte also Grabenkämpfe anstehen, wenn die Kommission konkret
anfängt, an den gesetzgeberischen Schrauben zu drehen. Im Gespräch
ist zum Beispiel, die Zulassung einer Arznei mit der Verpflichtung zu
verbinden, diese auch in der EU zu vermarkten.

BPI-Hauptgeschäftsführer Kai Joachimsen lobte aber immerhin
grundsätzlich die Tatsache, dass es eine Strategie geben soll und
dass damit die Bedeutung der Pharmaindustrie anerkannt werde.
Immerhin beschäftigt sie nach Angaben der EU-Kommission europaweit
800 000 Menschen und investierte 2019 rund 37 Milliarden Euro in
Forschung und Entwicklung. Der Verband der forschenden
Arzneimittelhersteller betonte, die rasche Impfstoffentwicklung
beweise die Leistungsfähigkeit der europäischen Pharmaindustrie.

«Jetzt ist also die Zeit für eine Arzneimittelstrategie, die den Weg
in die Zukunft weist», meinte der VFA. «Eine EU, die sich mit einer
Vielzahl von Einzelmaßnahmen als supra-nationaler Reparaturbetrieb
versteht, greift zu kurz. Anders gesagt: Jetzt ist die Zeit, mutiger
zu werden.»