Lockdown im Kreis Hildburghausen - «Müssen vor die Welle kommen» Von Annett Gehler, dpa

Auf der Corona-Karte leuchtet der Kreis Hildburghausen schon länger
dunkelrot. Jetzt gelten in dem bundesweitem Corona-Hotspot strenge
Kontaktbeschränkungen. Das öffentliche Leben wird weitgehend
heruntergefahren.

Hildburghausen (dpa/th) - Der Südthüringer Landrat Thomas Müller
kommt dieser Tage kaum zum Luftholen: Vor den angereisten
Fernsehteams versucht der CDU-Politiker zu erklären, wieso im Kreis
Hildburghausen die Corona-Zahl nur noch eine Richtung kennt - steil
nach oben. Seit Wochenbeginn weist die ländlich geprägte Region an
der Landesgrenze zu Bayern gemessen an der Einwohnerzahl bundesweit
den höchsten Infektionswert auf.

Dabei war Hildburghausen noch während der ersten Welle völlig
unauffällig und der letzte Landkreis in Deutschland, der am 20. März
seinen ersten Corona-Fall meldete. «Wir waren praktisch coronafrei»,
sagt Müller. Aber seit dem 24. Oktober läuft das Infektionsgeschehen
allmählich aus dem Ruder. Mit einem seit Mittwoch geltenden
regionalen Lockdown steuert der Kreis jetzt gegen: «Wir müssen vor
die Welle kommen und diese brechen», gibt Landrat Müller das Ziel
vor. Dennoch rechnet er vorerst nicht mit sinkenden Infektionen - im
Gegenteil.

Zuletzt lag die 7-Tage-Inzidenz im Kreis bei knapp 527 und damit so
hoch wie deutschlandweit in keinem anderen Landkreis. Allein von
Dienstag auf Mittwoch wurden laut dem Gesundheitsministerium in
Erfurt 81 Neuinfektionen gemeldet. Damit gibt es in dem Kreis derzeit
735 aktive Corona-Fälle.

Die rund 63 000 Einwohner im Kreisgebiet müssen sich nun vorerst bis
13. Dezember an strengere Corona-Regeln halten und sollen ihre
Kontakte auf das Notwendigste beschränken. Die seit Mittwoch geltende
neue Verordnung des Landkreises sieht weitreichende Einschränkungen
vor. So ist der Aufenthalt außerhalb der Wohnung oder dem eigenen
Grundstück nur noch aus «triftigem Grund» erlaubt. Dazu gehören unt
er
anderem der Weg zur Arbeit, der Gang zum Arzt und notwendige
Einkäufe.

Veranstaltungen jeglicher Art sind untersagt, ausgenommen
Wochenmärkte. Museen und Sporthallen sind zu und auch sämtliche 68
Schulen und Kindertagesstätten im Kreis wurden geschlossen. Fast
überall im öffentlichen Raum muss eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen
werden. Verstöße gegen die Auflagen können mit einer Geldbuße von b
is
zu 25 000 Euro geahndet werden. Die kommunalen Ordnungsbehörden sind
zu verstärkten Kontrollen angehalten.

«Ich hoffe, dass alle den Ernst der Lage verstanden haben»,
appelliert Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke). Es
gehe um das Verhalten eines jeden Einzelnen. «Bis wir die Wirkung der
Maßnahmen sehen, wird es einige Tage dauern. Vor allem aber wird es
den Effekt nur geben, wenn die Regelungen auch wirklich eingehalten
werden.»

Landrat Müller spricht angesichts des sich verschärfenden
Infektionsgeschehens von einer «Verkettung unglücklicher Umstände».

Ein Grund könnte bei den vielen Pendlern liegen, die regelmäßig für

die Arbeit die bayerische Grenze überqueren. In Bayern habe es schon
vor Wochen hohe Infektionszahlen gegeben, meint der
Kommunalpolitiker. Auch auf erlaubten Privatfeiern sei es zu
Ansteckungen gekommen.

Inzwischen seien jedoch kaum noch klare Infektionsherde auszumachen.
«Das geht durch alle Altersgruppen und zig Einrichtungen», sagt
Müller. Und das, obwohl es keine wirklichen Ballungsräume in dem rund
937 Quadratkilometer kleinen Flächenlandkreis gibt.

Nach Ansicht des Jenaer Infektiologen Mathias Pletz ist mit
Infektionsgeschehen wie in Hildburghausen jederzeit zu rechnen. Und
der Auslöser könne reiner Zufall sein, sagt der Leiter des Instituts
für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Jenaer Uniklinikum im
Interview mit der «Thüringer Allgemeinen» (Mittwoch).

Im Kreis Hildburghausen mit relativ kleiner Einwohnerzahl reichten
schon wenige positive Testergebnisse, um die Inzidenz nach oben zu
treiben. Hinzu komme, dass Thüringen mit vergleichsweise wenig
Infektionen durch die erste Welle kam. Daher könne sich das Virus
jetzt enorm schnell ausbreiten, weil es bisher nur ein sehr kleiner
Teil der Bevölkerung hatte, erklärt Pletz in dem Interview.

Um zumindest in den Kitas und Schulen schnell wieder zu einem
eingeschränkten Regelbetrieb zurückkehren zu können, setzt der
Landrat auf großangelegte, freiwillige Schnelltests. «Das ist ein
Feldversuch», bekennt Müller. Frühestens ab kommenden Dienstag
könnten Bundeswehr-Teams vor Ort von Kindern, Schülern, Erziehern und
Lehrern Abstriche nehmen.

Ein ehrgeiziges Unterfangen, denn von den Schließungen sind rund 9000
Kinder, Lehrer und Erzieher betroffen. Landrat Müller hat zu den fünf
bislang in Aussicht gestellten mobilen Abstrichteams daher noch
einmal 20 weitere angefordert. Selbst diese bräuchten dann eine
Woche, um zwei Drittel der betroffenen Kinder und Erwachsenen zu
testen. Müller: «Je weniger Teams wir bekommen, umso länger dauert
der ganze Akt.»