Oft Alarm und immer Stress: Lange Tage auf der Corona-Intensivstation Von Weronika Peneshko, dpa

Ein junger Mann hat sich im Oktober mit dem Coronavirus infiziert.
Jetzt liegt er auf der Intensivstation. Die Maschinen und das
Krankenhauspersonal halten ihn am Leben. Doch dem Personal geht
langsam die Puste aus.

Aachen (dpa/lnw) - Er hat sich auf der Hochzeit seiner Schwester
infiziert. Unter den acht anwesenden Familienmitgliedern wurden sechs
später positiv auf das Coronavirus getestet. Schon seit mehreren
Wochen liegt der 23-jährige Mann auf der Intensivstation in Aachen.
Mittlerweile ist er wieder bei Bewusstsein. Alle zwei Tage kommt ihn
sein Vater besuchen, um seine Hand zu halten und mit ihm zu sprechen.
Auch der 64-Jährige gehörte zu den positiv Getesteten. «Wir hatten
auf der Hochzeit im Oktober ein Hygienekonzept. Wir haben alle
Maßnahmen eingehalten und wir waren vorsichtig. Es war alles legal
und vom Ordnungsamt genehmigt. Trotzdem ist es passiert.»

Doch es kam nicht der 64-Jährige, sondern sein Sohn auf die
Intensivstation des Aachener Uniklinikums. Fast regungslos liegt der
junge Mann in seinem Bett. Er muss beatmet werden. Er bekommt keinen
Ton heraus, wenn er etwas sagen möchte. Mit einer Buchstabentafel
könnte er Buchstabe für Buchstabe anzeigen, was er meint. Aber noch
scheint es zu anstrengend zu sein, dafür die Hand länger als ein paar
Sekunden zu heben. «Er ist wieder in einem guten Zustand», sagt die
Stationsleiterin Pia Sliwinski. In den Nebenzimmern liegen weitere
Infizierte, denen es sogar noch schlechter geht. Sie sind sediert,
der Zustand wäre für die Patienten sonst nicht zu ertragen. Schläuche

transportieren Körperflüssigkeiten heraus und wieder hinein,
Maschinen ersetzen ihre Organe.

Auf der Intensivstation wuseln Pflegekräfte und Ärzte umher. Wer in
den Isolationsbereich mit den Infizierten wechselt, muss sich eine
Haube, eine Schutzbrille, einen Mund-Nasen-Schutz, eine Kutte und an
jeder Hand zwei Handschuhe anziehen. Durch die spezielle Maske kann
man kaum atmen. «Und das ist noch eine der Besseren», bemerkt
Oberarzt Christian Cornelissen. Er wechselt einem bewusstlosen
Patienten mit der Hilfe seines Kollegen die Flüssigkeit für die
Dialysemaschine. «Sowohl wegen der Isolationsmaßnahmen als auch wegen
der Krankheitsverläufe sind Covid-Patienten deutlich aufwendiger als
Nicht-Covid-Patienten», erklärt Oberarzt Alexander Kersten.

«Auch die größte Zahl an Intensivbetten ist irgendwann endlich, wenn

die Zahl an Patienten ansteigt», sagt Michael Dreher, Direktor der
Klinik für Pneumologie und internistische Intensivmedizin des
Aachener Uniklinikums. Vor Zuständen wie in Italien sei auch
Deutschland nicht geschützt. Täglich versuchten die Ärzte und Pfleger

die medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten. Doch dafür bräuchten
sie auch die Solidarität der Bevölkerung und der Politik. Die
Ministerpräsidenten der Länder beraten beim Corona-Gipfel am Mittwoch
über eine Verlängerung der Kontaktbeschränkungen, um die Zahl der
bundesweiten Neuansteckungen zu drücken.

Die Aachener Uniklinik hat eine besondere Position. Sie ist nur rund
fünfzig Kilometer von Heinsberg entfernt. Dort hatten sich im Februar
massenhaft Menschen infolge einer Karnevalsfeier infiziert. Einige
von ihnen kamen an die Uniklinik. Wegen der Erfahrungen aus dieser
Zeit sei die Belegschaft besser für die sogenannte zweite Welle
gewappnet, erklärt Dreher.

Eine Erkenntnis sei: Betten könnten nicht einfach für Covid-Patienten

frei gehalten werden. Deswegen versuche die Uniklinik so gut es geht,
sowohl Covid- als auch alle anderen Patienten zu versorgen. Das
bedeutet auch: Nur weil den Statistiken zufolge noch freie Betten auf
den Intensivstationen stehen, heißt es nicht, dass dort auf neue
Covid-Patienten gewartet werde. In der Städteregion Aachen waren am
Montag 276 von 295 Intensivbetten belegt. Neben Remscheid und Köln
waren in der Städteregion verhältnismäßig die wenigsten
Intensivbetten verfügbar. Das ging aus einer Statistik der Deutschen
Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin
hervor.

Im Pausenraum der Belegschaft auf der Intensivstation stehen
angebrochene Wasserflaschen, zwischendurch isst ein Arzt einen
Pudding. Aber keiner bleibt lange im Raum. Aus den Lautsprechern
eines Bildschirms dröhnt es ununterbrochen. Damit wird der Zustand
der Patienten angezeigt. «Alle 70 Minuten soll man rausgehen, die
Maske abziehen und was trinken. Meistens ergibt sich die Situation
aber nicht», erzählt Stationsleiterin Sliwinski. Die Schwester hatte
gehofft, dass sich wegen der Pandemie etwas in der Pflege ändert.
Aber: «Wertschätzung sieht anders aus», sagt sie entschieden. Schon

um sechs Uhr morgens habe sie angefangen, obwohl ihre Schicht erst um
sieben begann. «Wir hätten aber sonst nicht genug Personal gehabt.»
Auch am späten Nachmittag ist sie noch da und macht Überstunden.

Die Tage auf der Intensivstation sind lang. Das Atmen fällt dem
23-jährigen Patienten schwer. Manchmal schaut er auf, hier und da
huscht ihm ein zaghaftes Lächeln über die Lippen. Auf was er sich am
meisten freut, wenn er wieder gesund ist? Er gestikuliert vorsichtig:
Selbstständig wieder ein Glas Wasser trinken zu können.