Jung, erfolgreich, Hochstapler? - Vom Gefühl, ein Betrüger zu sein Von Dorothée Barth, dpa

Sie lügen, dass sich die Balken biegen. Erfinden Fähigkeiten und
Erfolgsgeschichten: Hochstapler. Menschen, die am
Hochstapler-Phänomen leiden, fühlen sich ähnlich. Doch die Geschichte

dahinter ist eine ganz andere.

Berlin (dpa) - Verena ist 27 und ist in ihren verschiedenen Jobs weit
gekommen. Sie ist gefragt und selbstständig als Fotografin, ist
preisgekrönt, kann auf eine gute Ausbildung, ein sehr gutes Abitur
und eine Karriere als Leistungssportlerin zurückblicken. Trotzdem hat
Verena ein Problem. Sie sagt: «Ich kann eigentlich gar nicht so viel,
wie ich vorgegeben habe.»

Hört man Verena zu, könnte man denken, dass sie eine Hochstaplerin
und Betrügerin ist. Dabei ist das Gegenteil der Fall - die junge Frau
leidet am Impostor- oder Hochstapler-Phänomen. «Das sind Personen,
die nachweislich erfolgreich sind, das aber nicht verinnerlichen
können», erklärt die Wissenschaftlerin Mirjam Zanchetta. Sie
erforscht die Einflüsse des Impostor-Phänomens. Menschen, die
darunter leiden, glaubten nicht an die eigenen Erfolge, sondern
daran, dass sie durch externe Faktoren wie zum Beispiel Glück oder
Zeitpunkt so viel erreicht hätten.

Ähnlich sei es auch bei ihr, sagt Verena. «Das ist das Paradoxe
daran, dass ich ja niemanden anlüge und nicht irgendwas behaupte, was
ich könnte. Und trotzdem habe ich die Angst, dass irgendjemand mal
sagt: Was tust du hier?» Verena heißt eigentlich anders. Sie möchte
unerkannt bleiben. «Ich habe kein Problem damit, über mein Empfinden
und meine Gedanken dazu offen zu sprechen», erklärt sie. «Mir ist es

sogar wichtig, anderen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Aber
ich finde das Thema Selbstzweifel so persönlich, dass ich gerne den
direkten Austausch dazu habe.»

Nach außen trägt Verena ihre Ängste nur bedingt: «An sich wahre ich

natürlich den Schein, dass ich super souverän bin», sagt sie. So gehe

es den meisten, die ähnliche Gefühle haben, erklärt die
Wissenschaftlerin Zanchetta. «Es ist ein inneres Geheimnis.» Wie
viele Menschen wirklich unter dem Phänomen leiden, könne dadurch
schwer ermittelt werden. Denn auch in Studien gäben Betroffene diese
Unsicherheiten nur ungern zu. Dadurch gebe es wenig Evaluiertes und
viel Theoretisches.

Bis zu 70 Prozent der Menschen geben an, dass sie das Gefühl kennen,
sagt der Autor und Psychologe Leon Windscheid. Richtig zuordnen
könnten es viele jedoch nicht. «Das sind einfach verdammt viele. Was
vielleicht auch der Punkt ist, weshalb wir auf keinen Fall von einer
Krankheit sprechen, sondern eher von einem Normalzustand.» Auslöser
könne zum Beispiel hoher Leistungsdruck in der Kindheit sein.

Wer am Hochstapler-Phänomen leide, habe etwa Probleme damit, sich
selbst positives Feedback zu geben. «Du bist mit deinen eigenen
Erfolgen nie so wirklich zufrieden. Es muss immer weitergehen, wie in
einem Hamsterrad», so der 31-Jährige, der unter anderem durch einen
Podcast mit dem Comedian Atze Schröder bekannt ist. Wichtige Indizien
für das Impostor-Phänomen seien auch Selbstzweifel: «Bin ich gut
genug für das, was ich hier mache?»

Auch Verena fällt es schwer, eigene Erfolge zu benennen. Erst nach
mehreren Nachfragen zählt sie ein paar mögliche auf: ein
Einserschnitt im Abitur parallel zum Leistungssport zum Beispiel.
«Ist das ein Erfolg? Weiß ich nicht», sagt sie. Nach längerem
Überlegen erzählt die 27-Jährige, dass ihre journalistische
Ausbildung ein Erfolg für sie gewesen sei. «Da weiß ich mittlerweile,

was ich kann und was vielleicht nicht so gut.» Trotzdem denke sie
sich bei Lob: «Leute, das bin doch nur ich!»

Erfolge sollten normalerweise das Selbstbewusstsein stärken. Mit dem
Impostor-Phänomen sei das jedoch anders, sagt Windscheid. «Ich
untergrabe eigentlich schon von Anfang an die Chance, dass ich am
Ende sagen kann: Das hast du einfach gut gemacht, du hast dich gesund
vorbereitet, dann hat es geklappt und deswegen darfst du dir jetzt
ein positives Feedback geben.»

Das zeigt sich auch bei der 27 Jahre alten Verena. Trotz der
offensichtlich erreichten Ziele plagen sie negative Gefühle: «Ich
habe immer diese latente Angst, Mist verzapft zu haben» - wirklich
Fehler gemacht habe sie allerdings noch nie. Dennoch habe sie immer
Angst, dass sie «Scheiße gebaut» habe und es aktuell einfach niemand

merke. «Aber irgendwer muss sich doch irgendwie mal denken: Alter,
die kann man hier nicht arbeiten lassen», sagt sie.

Mittlerweile hat die 27-Jährige diese Ängste nach eigenen Angaben
besser im Griff. Vor allem Gespräche mit Freunden helfen ihr, damit
umzugehen, sagt sie. Auch Psychologe Windscheid rät dazu, mit anderen
Menschen über das Hochstapler-Gefühl zu sprechen. Das helfe einem
selbst, aber auch Gleichgesinnten. Gemeinsame Gespräche würden dazu
führen, Tipps und Mechanismen zu benennen, die man sich auch selbst
geben sollte.

Außerdem: «Vergleiche dich mehr mit dir selbst, wie du früher mal
warst und mit dir selbst, wo du gerne hin würdest», ergänzt der
Psychologe. Ein weiterer Tipp des Psychologen: «Kämpfe niemals gegen
deine eigenen Gefühle.» Zugelassene Ängste und negative Emotionen
seien viel schneller vorbei. Klar sein sollte auch: «Das
Hochstapler-Selbstkonzept basiert darauf, dass ich denke, Hochstapler
zu sein, obwohl das eigentlich nicht der Fall ist.»