Corona-Weihnacht zwingt Kirchen zur Kreativität Von Christoph Driessen, dpa

Noch einen Monat, dann ist die Corona-Weihnacht da. Wenig wird so
sein wie sonst - ganz besonders bei den Gottesdiensten. Viele
Gemeinden haben sich aber etwas einfallen lassen.

Berlin (dpa) - Normalerweise sind die Kirchen an Heiligabend
überfüllt. Die Leute drängen sich in den Gängen, viele singen aus
Leibeskräften Weihnachtslieder mit. All das ist im Corona-Jahr
unmöglich. Gleichzeitig wissen die Kirchen, dass sie gerade in
Krisenzeiten gefragt sind. Sie müssen also kreativ werden.

In den meisten Kirchen dürfte es an Heiligabend deutlich mehr
Gottesdienste geben als sonst, sie werden aber kürzer ausfallen. Der
Besuch wird häufig über ein Online-Ticketsystem geregelt. Zu dicht
hintereinander dürfen die Gottesdienste aber auch nicht gestaffelt
sein: Zwischendurch muss immer wieder desinfiziert und gelüftet
werden.

Daneben werden vielerorts Gottesdienste unter freiem Himmel
abgehalten, in einigen Städten wie etwa in Bielefeld sogar in
Fußballstadien. Der evangelische Präses Manfred Rekowski will an
Heiligabend einen Gottesdienst auf einem Wuppertaler Friedhof
zelebrieren. Der katholische Pastoralverbund Balve-Hönnetal im
Sauerland bereitet auf dem Kirchplatz einen Stationen-Gottesdienst
vor: Dabei geht man von Hütte zu Hütte, an der einen wird gesungen,
an der nächsten etwas vorgelesen. Eine Gemeinde im Münsterland
wiederum veranstaltet «Hirtengänge» zu Bauernhöfen, wo dann die
Weihnachtsgeschichte vorgelesen wird.

Die evangelische Gemeinde St. Markus in Hamburg plant ein
Krippenspiel quer durch den Stadtteil Hoheluft: Auf zehn Balkonen
stehen Konfirmanden, die dem Publikum auf dem Bürgersteig kurze Teile
des Krippenspiels präsentieren. In der Hamburger Gemeinde
Meiendorf-Oldenfelde will sich Pastor Ulf Werner im Talar auf sein
Lastenfahrrad schwingen und mit der Aktion «Klingel Bells»
Weihnachten zu den Menschen bringen. Begleitet wird er von
Mitgliedern des Gemeindechors, verkleidet als Rentiere. «Da die
Zeiten düster sind, möchte ich mit ein bisschen Augenzwinkern und
Lichterketten etwas Hoffnungsleuchten verbreiten», sagt Werner.

Auch in Hessen werden fleißig Ideen gesammelt: Dazu gehören wandernde
Krippen, die auf Traktor-Anhängern durch die Straßen gefahren werden
sollen und für kurze Stopps anhalten. Oder Weihnachtskonzerte im
Innenhof von Pflegeheimen.

Die Anbindung an die Heimatgemeinde oder einfach an die
nächstgelegene Kirche dürfte in diesem Jahr weniger
selbstverständlich sein als sonst. Vermutlich würden sich diesmal
viele Menschen aus den unterschiedlichen Konzepten das für sie
passende heraussuchen, sagt die Religionssoziologin Anna Neumaier vom
Zentrum für angewandte Pastoralforschung der Ruhr-Universität Bochum.
«Will ich lieber in die Halle? Will ich lieber Open-Air? Oder will
ich lieber zu Hause bleiben und mir einen Gottesdienst im Internet
anschauen?»

Eine große Frage ist, wie sich die vielen Menschen verhalten werden,
die nur an Weihnachten in die Kirche gehen und dementsprechend keine
Anbindung an eine Gemeinde haben. Wenn sie sich entscheiden sollten,
dieses Jahr einfach mal auszusetzen, könnte das auf ihre endgültige
Abnabelung hinauslaufen. «Vielleicht schalten sie dann dieses Jahr
einfach den «Kleinen Lord» im Fernsehen an und denken sich: «Ach, das

ist auch ganz nett.»», sagt Neumaier. «Wenn Familien dann erstmal ein

neues Ritual entwickeln, ist die alte Tradition in Gefahr. Insofern
ist es interessant zu sehen, ob sich in den nächsten Jahren
Spätfolgen zeigen.»

Wieder einmal beschleunigt Corona damit einen sowieso schon
existierenden Trend: Der Standard-Sonntagsgottesdienst hat seit
langem immer weniger Zulauf. Wenn überhaupt, sind kreative und auf
einzelne Zielgruppen zugeschnittene spirituelle Angebote gefragt.
Dieses Jahr müssen die Kirchen an Weihnachten beweisen, dass sie sich
noch auf neue Situationen einstellen können.