Längerer Teil-Lockdown absehbar - Länder stimmen Linie für Gipfel ab Von Jörg Ratzsch, Jörg Blank, Christian Andresen und Anne-Beatrice Clasmann, dpa

Am Mittwoch wollen Bund und Länder Klarheit schaffen, in welchem
Rahmen die Menschen Weihnachten und Silvester verbringen können. Vom
Vorsitz der Ministerpräsidentenrunde liegt ein Papier auf dem Tisch.
Wie reagieren unionsgeführte Länder und der Bund?

Berlin (dpa) - Vor den neuen Beratungen von Bund und Ländern am
Mittwoch über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie wollen die
Ministerpräsidenten am Montag ihre Linie abstimmen. Nach
Informationen der Deutschen Presse-Agentur ist dazu eine Schalte der
Regierungschefs geplant. Ihnen liegt ein Beschlussentwurf vom Vorsitz
der Ministerpräsidentenkonferenz vor, den derzeit Berlins Regierender
Bürgermeister Michael Müller (SPD) innehat. Absehbar ist angesichts
anhaltend hoher Infektionszahlen eine Verlängerung des Teil-Lockdowns
im Dezember.

Die Vorschläge Müllers sind bisher nach dpa-Informationen nur unter
den SPD-Ländern abgestimmt. Ein gesondertes Papier der sogenannten
B-Länder, zu denen die unionsgeführten Länder sowie Baden-Württembe
rg
mit einem grünen Regierungschef gehören, soll es nicht geben. Müller

sagte im ZDF-«heute journal», ohne auf Details einzugehen, es gebe
nun einen Vorschlag, der deutlich langfristiger als die bisherigen
angelegt sei. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Montag), die Runde am Mittwoch
müsse «eine bestmögliche Perspektive für den Zeitraum bis nach dem

Jahreswechsel geben».

Politiker von Bund und Ländern hatten die Bürger am Wochenende auf
eine Verlängerung der zunächst bis Ende November geltenden
Kontaktbeschränkungen vorbereitet. Kanzlerin Angela Merkel (CDU)
sagte am Sonntag, Tatsache sei, «dass wir noch nicht soweit sind, wie
wir gerne gekommen wären durch die Kontaktbeschränkungen».
Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte, bei der
Entwicklung der Fallzahlen sei man noch nicht dort, wo man hinwolle.
«Und deshalb ahnt ja auch jeder, dass es noch Verlängerung geben
muss.»

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte im ARD-«Bericht
aus Berlin», es gebe keinen Grund zur Entwarnung. Deswegen müsse der
Lockdown verlängert und an einigen Stellen - insbesondere in den
Hotspots - auch deutlich vertieft werden. Berlins Regierender
Bürgermeister Müller sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Wir sind
uns einig, dass schon viel erreicht wurde, aber nicht genug.»

Die Vorschläge des MPK-Vorsitzes, die unter anderem der «Berliner
Morgenpost», dem Wirtschaftsmagazin «Business Insider» und der
Deutschen Presse-Agentur vorliegen, sehen folgendes vor:

KONTAKTBESCHRÄNKUNGEN: Die Bürgerinnen und Bürger bleiben aufgerufen,

jeden nicht notwendigen Kontakt zu vermeiden und möglichst zu Hause
zu bleiben. Zur weiteren Vermeidung von Kontakten werden die
Arbeitgeber gebeten, unbürokratisch Home-Office zu ermöglichen. Die
für November geltenden Maßnahmen sollen bundesweit bis zum 20.
Dezember verlängert werden.

Länder, die weniger als 35 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner
innerhalb von 7 Tagen haben und eine sinkende Tendenz dieses Wertes
aufweisen, sollen davon schon vor dem 20. Dezember abweichen können.
Wird bis zu diesem Stichtag keine bundesweit signifikant sinkende
Tendenz erreicht, sollen die Maßnahmen für jeweils 14 Tage verlängert

werden, bis dieses Ziel erreicht ist.

PRIVATE ZUSAMMENKÜNFTE: Vom 1. Dezember bis zum 17. Januar sieht der
Beschlussvorschlag weitere erhebliche Kontaktbeschränkungen vor, um
eine Reduzierung des Infektionsgeschehens mittelfristig abzusichern.
So sollen private Zusammenkünfte mit Freunden, Verwandten und
Bekannten auf den eigenen und einen weiteren Haushalt, jedoch in
jedem Fall auf maximal 5 Personen beschränkt werden. Kinder bis 14
Jahre sollen von dieser Regel ausgenommen werden.

WEIHNACHTEN: Bei den Vorschlägen für die Weihnachtstage gibt es in
dem Entwurf noch eckige Klammern, über deren Inhalt noch beraten
werden muss. So sollen nach den Vorstellungen des MPK-Vorsitzes die
Personenobergrenzen für Zusammenkünfte innen und außen vom 21. bis
zum 27. Dezember - also über die Weihnachtstage - erweitert werden
auf Treffen eines Haushaltes mit haushaltsfremden Familienmitgliedern
oder haushaltsfremden Personen bis maximal 5 Personen. Alternativ
gibt es die Überlegung, diesen Zeitraum vom 21. Dezember bis zum 3.
Januar auszudehnen und die Beschränkung auf maximal 10 Personen
festzulegen. Kinder bis 14 Jahre sollen jeweils ausgenommen werden.

Mit dieser Regelung solle «Weihnachten auch in diesem besonderen Jahr
als Fest im Kreise von Familien und Freunden, wenn auch im kleineren
Rahmen, möglich sein», heißt es in dem Entwurf. Wo immer möglich
solle man sich vor und nach den Feiertagen in eine möglichst
mehrtägige häusliche Selbstquarantäne begeben. Diese Regel ist
allerdings lediglich als Appell formuliert.

GOTTESDIENSTE: Bund und Länder sollen das Gespräch mit den
Religionsgemeinschaften suchen, um möglichst Vereinbarungen für
Gottesdienste und andere religiöse Zusammenkünfte mit dem Ziel einer
Kontaktreduzierung zu treffen. Religiöse Zusammenkünfte mit dem
Charakter von Großveranstaltungen sollen vermieden werden.

SILVESTER: Verkauf, Kauf und Zünden von Feuerwerk soll verboten
werden. Damit sollen Einsatz- und Hilfskräfte entlastet und die
Kapazitäten des Gesundheitssystems freigehalten werden.

MUND-NASE-BEDECKUNG: Für öffentliche Verkehrsmittel sowie in
geschlossenen Räumen, die öffentlich oder im Rahmen eines Besuchs-
oder Kundenverkehrs zugänglich sind, soll es eine Pflicht zum Tragen
einer Mund-Nase-Bedeckung geben. Auch an Orten unter freiem Himmel,
an denen sich Menschen auf engem Raum aufhalten, soll demnach eine
Mund-Nase-Bedeckung vorgeschrieben werden. Jene Orte sollen von den
zuständigen Behörden festgelegt werden. Auch in Arbeits- und
Betriebsstätten soll eine Mund-Nasen-Maske getragen werden - am
jeweiligen Arbeitsplatz soll das nicht gelten, wenn ein Abstand von
1,5 Metern zu einer weiteren Person eingehalten werden kann.

HOCHSCHULEN UND UNIVERSITÄTEN: Sie sollen grundsätzlich auf digitale
Lehre umstellen. Ausnahmen soll es nur für Laborarbeiten, Praktika
und Prüfungen geben.

SCHULEN: Schüler ab der siebten Klasse sollen künftig auch im
Unterricht Maske tragen. Gelten soll das für Schüler und
Berufsschüler in Regionen mit deutlich mehr als 50 Neuansteckungen
pro 100 000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen - was derzeit
vielerorts der Fall ist. Schulen ohne Corona-Fälle können aber davon
ausgenommen werden.

Für die Schulen wird auch eine Teststrategie vorgeschlagen: Tritt in
einer Klasse ein Corona-Fall auf, soll diese zusammen mit den
betroffenen Lehrkräften für fünf Tage in Quarantäne. Am fünften T
ag
soll es für alle einen Schnelltest geben. Fällt der negativ aus, kann
die Klasse wieder zurück an die Schule. «Um diese wirksame
Teststrategie flächendeckend zur Anwendung bringen zu können, wird
der Bund (über die Länder) zusätzliche Kapazitäten von Antigen-Test
s
zur Verfügung stellen», heißt es in dem Papier.

Die Ausgestaltung weiterer Maßnahmen, wie etwa Wechselunterricht wird
den Ländern überlassen. Schülerfahrten und internationaler Austausch

sollen untersagt bleiben. Es wird empfohlen, den Unterrichtsbeginn zu
staffeln, um den Schulverkehr zu entzerren.

Für einen Wechselunterricht bei älteren Schülern sprach sich Müller

im ZDF aus. Auch Bundesbildungsministerin Anja Karliczek plädierte in
den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Montag) dafür. «Bei
weiterführenden Schulen sind auch Wechselmodelle aus meiner Sicht
sinnvoll», sagte auch Grünen-Chefin Annalena Baerbock in der ARD.

WIRTSCHAFT, KULTUR, REISEBRANCHE, SOLOSELBSTSTÄNDIGE: Auch die
staatlichen Hilfen für betroffene Betriebe sollen bis 20. Dezember
verlängert werden. Diese seien für Unternehmen und Beschäftigte
essenziell und ein wichtiges Element für die hohe Akzeptanz der
notwendigen Schutzmaßnahmen bei den Bürgerinnen und Bürgern, heißt
es
in dem Papier. Die Ausgaben für diese Unterstützung im November
werden auf 15 Milliarden Euro beziffert.

Vorgeschlagen wird auch, Hilfsmaßnahmen für Branchen, die absehbar in
den kommenden Monaten weiterhin «erhebliche Einschränkungen»
hinnehmen müssten, bis Mitte 2021 zu verlängern. Genannt werden die
Kultur- und Veranstaltungswirtschaft, Soloselbstständige und die
Reisebranche.

REISERÜCKKEHRER: Der Entwurf schlägt vor, dass die häusliche
Quarantäne bei Reiserückkehrern und Kontaktpersonen einheitlich auf
zehn Tage im Regelfall festgelegt werden soll - gerechnet ab dem Tag
der Einreise beziehungsweise dem letzten Tag des Kontakte.

GESETZLICHE KRANKENVERSICHERUNG: Die Länder wollen den Bund nach dem
Entwurf bitten, wie eine steuerfinanzierte Stabilisierung der
GKV-Beiträge aussehen könnte, damit die durch die Pandemie im
Gesundheitswesen verursachten Kosten nicht einseitig durch die
gesetzlich Versicherten abgefedert werden müssen. Als Möglichkeit
wird ein Solidaritätszuschlag genannt.

FDP-Chef Christian Lindner hält nichts von der Lockdown-Strategie.
«Ich glaube, dass diese Strategie nicht funktioniert. Auch wenn wir
zu Weihnachten oder nach Weihnachten oder Januar öffnen: Solange kein
Impfstoff da ist und wir keine Bevölkerung mit einer großen Resistenz
haben, droht die nächste, die dritte Welle», sagte Lindner im
«Bild»-Politiktalk «Die richtigen Fragen». Er hoffe, dass es am
Mittwoch gelinge, «über eine nationale Kraftanstrengung zu sprechen».

Es gehe darum, die wirklichen Risikogruppen zu schützen. Benötigt
würde zudem eine Öffnungsperspektive mit einem klaren Regelwerk,
welche Hygienestandards Gaststätten und andere erfüllen müssten.