Der Winter kommt: Versinken im Corona-Blues Von Thomas Strünkelnberg, dpa

Es wird dunkel draußen, der Winter kommt. Manche Menschen leiden
darunter mehr als andere, die Stimmung verdüstert sich mit dem
Wetter. Macht die Corona-Pandemie jetzt alles noch schlimmer?

Hannover (dpa) - T-Shirts mit scherzhaften Motiven rund um die
Corona-Pandemie haben Konjunktur. Der Krankheit mit Humor ein
Schnippchen schlagen, sich nicht unterkriegen lassen - darum geht es.
Nur: Wenn das so einfach wäre, jetzt, wo der Winter und mit ihm wohl
eher düstere Tage vor der Tür stehen, man nicht mehr so gerne nach
draußen geht. Wird der Winterblues oder die Winterdepression in
diesem Corona-Jahr schlimmer als sonst? Eine Hoffnung gibt es: «Wir
werden diesen Winter überstehen, der Frühling wird kommen», sagt
Ralph Schliewenz vom Berufsverband Deutscher Psychologen in Berlin.

Aber bis dahin? Niemand weiß, wie lange der Teil-Lockdown am Ende
dauern wird, viele Menschen arbeiten im Homeoffice, man sieht sich
immer seltener. Und wenn dann noch das Schmuddelwetter einsetzt, mit
grau verhangenem Himmel und wenig Sonne? «Corona macht Stress» betont
der Experte. Und: «Ich gehe davon aus, dass wir am Anfang eines
Pandemie-Jahrzehnts stehen.» Gute Aussichten. Optimistischer
allerdings beurteilt er die Fähigkeiten der Menschen, mit der
Pandemie und ihren Folgen umzugehen. Menschen seien so programmiert,
«dass es weiter geht, dass wir Lösungen finden».

Lösungen finden. Nicht einfach, wenn man gerade mit schlechter
Stimmung kämpft und grübelt. Denn: «Depressive leiden deutlich
stärker», sagt Detlef Dietrich, Ärztlicher Direktor und leitender
Arzt der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie der Burghof-Klinik
in Rinteln. Ärzte in China hätten schon in der ersten Phase der
Corona-Pandemie häufiger Ängste, Depressionen und Schlafstörungen
festgestellt, eine österreichische Studie gehe gar von einer
Verfünffachung der depressiven Störungen aus.

Das im November veröffentlichte «Deutschland-Barometer Depression»
der Stiftung Deutsche Depressionshilfe ergab, dass im Frühjahr fast
jeder zweite dieser Patienten Einschränkungen bei der Behandlung
erlebte - wegen ausgefallener Arzttermine oder Klinik-Aufenthalte.
Das könnte sich jetzt wiederholen. Laut Barometer empfanden 74
Prozent der Menschen mit Depressionen den Lockdown im Frühjahr als
bedrückend, in der Bevölkerung insgesamt waren es 59 Prozent. Im
Teil-Lockdown hätten depressiv Erkrankte mehr Zeit zum Grübeln und
könnten noch tiefer in die Depression geraten.

Dietrich geht davon aus, dass jährlich bis zu 800 000 Menschen in
Deutschland eine Winterdepression entwickeln - das mache etwa ein
Fünftel der Gesamtzahl der Depressionsfälle in Deutschland aus. Und
Ängste, allgemeines Stressgefühl und Depressionen hätten in der Krise

«signifikant zugenommen», vor allem jüngere Menschen zwischen 20 und

50 Jahren seien betroffen. Warum? Möglicherweise litten sie besonders
unter der Sorge um die Kinder, die Eltern oder den Arbeitsplatz -
oder unter der Mehrfachbelastung, sich um Kinder und Eltern kümmern
zu müssen. «Es ist zu vermuten, dass solche Belastungen insgesamt die
Zahl depressiv Erkrankter ansteigen lassen.»

Der wohl wichtigste Auslöser einer Winterdepression ist Lichtmangel,
gerade in der dunklen Jahreszeit nicht ganz einfach zu umgehen.
Dieser wirke sich vor allem bei entsprechender Veranlagung aus, sagt
Dietrich. Unabhängig vom Lichtmangel könnten weitere Faktoren zu
Depressionen führen - ein gewisses genetisches Risiko, wenn man nicht
gelernt habe, richtig mit Stress umzugehen, Einsamkeit, soziale
Unsicherheit, auch Angst vor Ansteckung. Und dass der soziale Rückzug
in der Pandemie sich als krankmachender Faktor auswirkt - «das ist
so».

Zumal Vereinsamung womöglich die «Grübelprozesse, die ein wichtiger
Faktor bei Depressionen sind», verstärkt, wie Jörg Hermann vom
Vorstand der Psychotherapeutenkammer Niedersachsen sagt. Andererseits
gebe es auch Menschen, die es positiv fänden, mehr Zeit für sich zu
haben. Wer aber ohnehin mit Vereinsamung zu kämpfen habe, sei stärker
betroffen. Und wenn Ängste da seien, zögen Menschen sich zurück - das

verstärke das Problem.

Was passiert dabei eigentlich im Körper? Bei Dunkelheit produziere
der Körper Melatonin, das Schlafhormon, Helligkeit dagegen führe zu
mehr Serotonin, dem Glückshormon. Entsprechend beeinflussten die
Stoffe die Stimmung, sagt Schliewenz. Wobei man zwischen einer echten
Winterdepression und dem sogenannten Winterblues bei sensiblen
Menschen unterscheiden müsse, erklärt Dietrich. Die Direktorin des
Instituts für Sozialmedizin und Arbeitsmedizin der Universität
Leipzig, Steffi Riedel-Heller, schreibt, dass vermutlich eher
rezessionsbedingt mit einer Zunahme psychischer Störungen zu rechnen
sei. Da kommt wieder die Angst vor dem Job-Verlust ins Spiel.

Psychiater Ulrich Hegerl als Vorsitzender der Stiftung Deutsche
Depressionshilfe macht klar, dass Depression eine schwere, oft
lebensbedrohliche und behandlungsbedürftige Erkrankung sei. Aber
sensible Menschen können etwas tun, da sind sich die Experten einig:
Radfahren, Joggen, Spaziergänge, positive Erlebnisse herbeiführen und
soziale Kontakte halten, wie Dietrich sagt. Auch die Video- und
Telefontherapie sei für viele die Chance, in Kontakt zu bleiben,
erklärt Hermann. Schliewenz fordert zu Bewegung auf: «Liebe Leute,
raus mit euch!» Hermann betont: «Man hat es selbst in der Hand.»