AfD nach Störung im Bundestag unter Druck - Gauland entschuldigt sich Von Ulrich Steinkohl und Anne-Béatrice Clasmann, dpa

Dass Abgeordnete im Bundestag von Besuchern bedrängt werden, hat es
noch nicht gegeben. Zwei Tage später ist die Empörung darüber immer
noch groß. Auch über die AfD, die diese Gäste eingeladen hatte. Aus
ihren Reihen kommt eine Entschuldigung - und eine neue Provokation.

Berlin (dpa) - Nach der Belästigung von Politikern im Bundestag durch
Besucher haben sich die anderen Fraktionen geschlossen gegen die AfD
gestellt, die diese Störer eingeladen hatte. CDU/CSU, SPD, FDP, Grüne
und Linke brandmarkten die Rechtspopulisten in einer Aktuellen Stunde
am Freitag als «Demokratiefeinde». AfD-Fraktionschef Alexander
Gauland nannte das Verhalten der Besucher zwar «unzivilisiert» und
entschuldigte sich dafür. Dies werteten die anderen Fraktionen in der
hitzigen Debatte aber als pure «Heuchelei».

«Was wir am Mittwoch erleben mussten, ist nicht weniger als ein
Angriff auf das freie Mandat und ein Angriff auf die parlamentarische
Demokratie», sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der
Union, Michael Grosse-Brömer (CDU). Sein CSU-Kollege Stefan Müller
zog daraus den Schluss: «Die Feinde der Demokratie kommen nicht nur
von außen. Die Feinde der Demokratie sitzen auch hier rechts in
diesem Plenarsaal.»

Grosse-Brömer betonte, die Vorfälle seien nicht plötzlich passiert,
sondern «der Tiefpunkt einer dauerhaften Strategie der AfD». Diese
beschrieb die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen,
Britta Haßelmann, so: «Unaufrichtiges und geheucheltes Bedauern hier,
denn man merkt, es wird brenzlig.» Und gleichzeitig hole sich die AfD
bei ihrer Anhängerschaft den Applaus für ihr Handeln ein. «Das ist
die Strategie - und die müssen wir entlarven.»

Am Rande der Debatte über das neue Infektionsschutzgesetz waren am
Mittwoch auf den Fluren der Bundestagsgebäude Abgeordnete von
mehreren Besuchern bedrängt, belästigt, gefilmt und beleidigt worden.
Dies passierte unter anderem Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU)
und dem FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle. Besucher drangen auch in
Abgeordnetenbüros ein. Rund um das Regierungsviertel hatten Tausende
Menschen gegen das Gesetz demonstriert.

AfD-Fraktionschef Gauland räumte am Freitag ein, das Verhalten der
Gäste sei «unzivilisiert» gewesen und gehöre sich nicht. «Hier is
t
etwas aus dem Ruder gelaufen», sagte er. «Dafür entschuldige ich mich

als Fraktionsvorsitzender.» Die Besucher hätten allerdings die
Sicherheitskontrollen durchlaufen. «Wir konnten nicht damit rechnen,
dass so etwas passiert.» Zuvor hatte die AfD-Fraktion entschieden,
dass sich ihre Abgeordneten Petr Bystron und Udo Hemmelgarn wegen der
Einladung der Gäste schriftlich bei Bundestagspräsident Wolfgang
Schäuble (CDU) entschuldigen sollen. Eine öffentliche Entschuldigung
im Plenum gab es nicht.

Schäuble hatte zuvor an alle Abgeordneten geschrieben, dass er die
Verwaltung gebeten habe, «alle rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen,
gegen die Täter und diejenigen vorzugehen, die ihnen Zugang zu den
Liegenschaften des Bundestages verschafft haben».

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco
Buschmann, warf der AfD vor, sie habe «ein Klima der Bedrohung» in
den Bundestag tragen wollen. «Sie wollen die Institutionen in den
Schmutz ziehen, weil Sie sie hassen. Aber seien Sie sich eines
sicher: Unsere Demokratie ist stärker als Ihr Hass.» Für die SPD
erinnerte die Abgeordnete Susann Rüthrich an Gaulands Satz «Wir
werden sie jagen» vom Abend der Bundestagswahl 2017, gemünzt auf die
neue Bundesregierung. «Damit waren wir alle gemeint, frei gewählte
Abgeordnete und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.»

In scharfer Form stellte Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke)
eine direkte Linie zu den Nationalsozialisten her. Sie zitierte den
späteren Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, der zu den Zielen
der NSDAP im Reichstag gesagt hatte: «Wir kommen nicht als Freunde,
auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde. Wie der Wolf in die
Schafherde einbricht, so kommen wir.» Manche AfD-Politiker wie der
thüringische Landeschef Björn Höcke hätten diese Drohung für sich

aufgenommen - «im Wortlaut und im Agieren», sagte Pau.

Als wolle er das Empörungsniveau im Plenarsaal hoch halten, holte
schließlich der AfD-Abgeordnete Karsten Hilse für das am Mittwoch
beschlossene Infektionsschutzgesetz wieder die schon in den Tagen
zuvor scharf kritisierte Bezeichnung «Ermächtigungsgesetz» hervor.
Bis zum Ermächtigungsgesetz der Nazis von 1933 sei dies «ein üblicher

Begriff» gewesen. «Und wenn in einem Gesetz mehrmals von Ermächtigung

gesprochen wird, dann kann man es mit Fug und Recht ohne diese
negative Konnotation (Nebenbedeutung) so nennen.» Die Zwischenrufe
aus den anderen Fraktionen zeigten, dass dies als weitere Provokation
in einer an Provokationen nicht armen Parlamentswoche gesehen wurde.

Der Schlusspunkt war es jedoch noch nicht. Den setzte der
AfD-Abgeordnete Thomas Seitz, der am Nachmittag mit einer offenkundig
löchrigen Maske zum Rednerpult kam. Vizepräsidentin Claudia Roth
untersagte ihm, damit zu seinem Platz zurückzugehen. Sie reichte ihm
eine frische FFP2-Maske. Als Seitz sich über den «Maulkorb»
beschwerte, drohte ihm Roth ein Ordnungsgeld an.