Alkoholkrank in der Pandemie - Mehr Andrang bei Selbsthilfegruppen

Hilfe für Alkoholkranke in Seuchenzeiten: Kontaktarmut, Sorge um den
Job und Zukunftsangst lassen den Bedarf wachsen. Manche Angehörige
wollen ihre Alkoholiker noch vor Weihnachten «trockenlegen».

Koblenz (dpa/lrs) - Teil-Lockdown, Einsamkeit, Ängste - Corona treibt
in Rheinland-Pfalz die Zahl der Hilferufe bei Selbsthilfegruppen für
Alkoholiker nach oben. «Viele Leute spüren eine Ausweglosigkeit. Sie
verlieren ihren Job oder sind in Kurzarbeit», sagt Monika von den
Anonymen Alkoholikern in der Pfalz. «Dann hockt man zu Hause
aufeinander, es gibt Aggressionen - da ist Alkohol ein Mittel, um
sich weg zu beamen», erklärt die trockene Alkoholikerin, die ihren
Nachnamen nicht nennen will. «Die Zahl der Anrufe bei uns hat
zugenommen.» Das Problem ziehe sich «vom Müllmann bis zum Doktor».


Der Vorsitzende des Freundeskreises Westerwald - Verein für
Suchtkrankenhilfe, Gerhard Weyer, sagt in Marzhausen, in Zeiten von
Kurzarbeit, Kontaktbeschränkungen und Homeoffice fehle vielen der
Austausch mit Kollegen und Freunden. Die Isolierung zu Hause und die
Ängste vor der Zukunft könnten zum «Erleichterungstrinken» führen
.
Weyers Ehefrau Ellen ergänzt, häufig würden dabei die Angehörigen
vergessen: «Oft sind sie nervlich mehr belastet als der Alkoholiker
selbst. Oft nehmen sie zuerst den Kontakt mit uns auf.»

Der eher triste November könne Alkoholismus noch verstärken, sagt
Monika. «Viele Angehörige wollen auch vor Weihnachten noch ihre
Trinkenden trockenlegen. Aber das funktioniert nicht so leicht. Der
Trinkende muss selbst die Einsicht haben.» Ellen Weyer erklärt:
«Schon vor Corona hat es immer vor und nach Weihnachten mehr
Hilfsbedarf gegeben.» Familien kämen im größeren Kreis zusammen, es

werde «auf heile Welt gemacht». Dann brächen manchmal Konflikte auf.


Zahlreiche Kirchengemeinden haben ihre Räume für Selbsthilfegruppen
aus Angst vor Corona-Infektionen längst gesperrt, wie Ellen Weyer und
Monika berichten. Ein Ausweg sind Videokonferenzen. Ein Mitglied der
Anonymen Alkoholiker im Raum Koblenz, das anonym bleiben will, sagt,
drei bis zehn Betroffene kämen hier «per Skype und Zoom» zusammen.
«Es sind bestimmt auch welche abgesprungen. Nicht alle haben
Internet. Oder ihr Netz ist zu schwach», erklärt der Mann.

Eine Erhebung von Forsa im Oktober in Deutschland hat ergeben: Etwa
ein Viertel der Menschen mit ohnehin problematischem Alkoholkonsum
trinkt seit Corona noch mehr. Eine weitere Studie förderte steigenden
Alkoholkonsum bei einem Drittel von bundesweit rund 3000 befragten
Erwachsenen seit der Krise zutage.