OECD-Bericht: Corona macht Schwächen in Gesundheitssystemen sichtbar

Zu wenig Krankenhausbetten, nicht genug Personal: Schon zu normalen
Zeiten sind das keine guten Nachrichten für Patientinnen und
Patienten. Aber wenn die Welt von einer Pandemie getroffen ist, hat
das schwerwiegende Konsequenzen.

Paris (dpa) - Die Corona-Pandemie hat gravierende Schwachstellen in
Gesundheitssystemen und die unzureichende Vorbereitung vieler
europäischer Länder auf eine Gesundheitskrise offenbart. Staaten
müssten vor allem mehr in ihr Gesundheitspersonal investieren, heißt
es in einer am Donnerstag veröffentlichten Studie der Organisation
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit Sitz in
Paris. Gleichzeitig habe sich gezeigt, dass Länder, die in der Lage
sind, schnell auf die Krise zu reagieren, kostspielige weitgehende
Corona-Beschränkungen möglicherweise vermeiden können.

«Die erste Welle der Covid-19-Pandemie machte den bereits bestehenden
Mangel an Ärzten und Krankenschwestern in vielen Ländern sichtbarer
und akuter», heißt es in dem Bericht weiter, der sich mit den
Auswirkungen der Pandemie auf die Gesundheitssysteme von EU-Staaten
auseinandersetzt. Die Kosten für widerstandsfähige Gesundheitssysteme
seien geringer als die enormen wirtschaftlichen Folgen, die schwache
Gesundheitssysteme in einer Krise wie der Corona-Pandemie hätten.

Der Mangel an Personal sei in der Krise eine größere Einschränkung
als der Mangel an Krankenhausbetten gewesen. Das zeige, dass die
Ausbildung von qualifiziertem Gesundheitspersonal mehr Zeit in
Anspruch nehme als die Schaffung temporärer Einrichtungen. Außerdem
sei es wichtig, Reservekapazitäten beim Personal zu schaffen. In
einigen Ländern, wie Norwegen, der Schweiz und Deutschland, sei die
Zahl der Ärzte und Krankenschwestern pro Kopf vor Beginn der Pandemie
im Vergleich zu anderen Ländern relativ hoch gewesen, so die
Autorinnen und Autoren.

Die Untersuchung kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass Regierungen
effektive Strategien erarbeiten müssen, um weitere Lockdowns zu
vermeiden. Wichtig seien generell Tests zur Kontaktnachverfolgung und
Kontaktbeschränkungen, die Verfügbarkeit von Masken und die
Einschränkung von Mobilität und Kontakten. Auch digitale Maßnahmen
wie Corona-Apps könnten helfen. «Viele Länder hatten in den ersten
Monaten der Krise Mühe, die Verfügbarkeit von Masken und anderer
persönlicher Schutzausrüstung zu erhöhen», heißt es.

Die meisten Länder hätten auch Probleme gehabt, ihre Testkapazitäten

zu erhöhen, was die Wirksamkeit der Rückverfolgungsbemühungen
eingeschränkt habe. Dadurch seien nur wenige Optionen geblieben, um
die Ausbreitung des Virus während der ersten Welle einzudämmen, was
schließlich strengere Eindämmungsmaßnahmen erforderlich machte.

Zwar sei eine Gesamtbeurteilung der Reaktionen der europäischen
Länder auf Corona zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwierig, da die
Pandemie weltweit noch immer sehr aktiv ist, schreiben die
Expertinnen und Experten. Einige Beobachtungen ließen sich aber vor
allem mit Blick auf die erste Welle im Frühjahr machen.

In fast allen untersuchten Ländern seien mindestens 90 Prozent der
Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 unter Menschen im Alter von
60 Jahren und darüber zu verzeichnen gewesen. Besonders betroffen
waren Bewohner von Pflegeeinrichtungen und Heimen. Zwischen den
ersten gemeldeten Corona-Fällen und den Leitlinien zur Prävention in
Heimen hätten in mehreren Ländern mindestens zwei Monate gelegen.

Deutschland war der Studie zufolge zu Beginn der ersten Welle
verhältnismäßig gut gerüstet. Das gilt sowohl mit Blick auf die Zah
l
der Tests, die zu Beginn durchgeführt worden, als auch für die Zahl
der Krankenhausbetten. Was die vorhandenen Kapazitäten betrifft, so
hatte Deutschland 2018 mit acht Betten pro 1000 Einwohner die meisten
Krankenhausbetten pro Kopf im Ländervergleich. Auch bei den
Intensivbetten lag Deutschland laut Studie zu Beginn der Krise vorn.
Schlusslicht war Irland.

Außerhalb Europas seien Korea oder Neuseeland gute Beispiele für
Länder, in denen das Virus gezielt unter Kontrolle gebracht wurde. In
Europa seien Finnland, Norwegen oder Estland besser in der Lage
gewesen, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Dies sei aber auch
teilweise auf geografische Faktoren zurückzuführen - in diesen
Ländern ist die Bevölkerungsdichte geringer. Gleichzeitig seien
Eindämmungsmaßnahmen aber gezielt umgesetzt worden - das Vertrauen
der Bevölkerung sei groß gewesen.