Prostitution in der Corona-Krise: «Die Frauen sind im Dauer-Angstzustand»

Kaum eine Branche fällt in der Corona-Pandemie so sehr durch das
Raster wie Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter. Trotz Verbots bieten
nicht wenige ihre Dienste an - und stehen deshalb noch mehr unter
Druck.

Plauen (dpa/sn) - De facto gilt seit dem Frühjahr ein
Prostitutionsverbot: Bordelle sind laut Corona-Schutz-Verordnung
geschlossen, Sexarbeiterinnen dürfen ihre Dienste in der Corona-Krise
nicht anbieten. Tatsächlich tun sie es aber, vor allem in sogenannten
Bordellwohnungen. «Mitunter stehen die Freier im Hausflur Schlange»,
sagte Hannah Drechsel von Karo e.V. der Deutschen Presse-Agentur. Der
Plauener Verein kämpft im Grenzgebiet zu Tschechien gegen
Zwangsprostitution und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern.

Im Rahmen seiner aufsuchenden Sozialarbeit ist das Team im Vogtland,
aber auch bis Hof und Zwickau unterwegs. In den ersten Wochen nach
dem Lockdown im März habe ein Teil der Frauen - überwiegend
Migrantinnen aus Osteuropa - den Freistaat Richtung Heimat verlassen.
«Doch schon ab Juni war wieder viel los», berichtet die
Sozialarbeiterin. Gemeinsam mit zwei Kollegen fährt sie regelmäßig
einschlägige Wohnungen an, um mit den Betroffenen ins Gespräch zu
kommen. Nachdem sie diese Hausbesuche im Frühjahr weitestgehend
einstellen mussten, bieten sie nun unter Einhaltung der
Abstandsregeln ihre Hilfe zumindest wieder an der Tür an. Zudem
bringen sie Lebensmittelspenden und Hygieneartikel vorbei.

Bei den Frauen, die trotz des Verbots wieder arbeiten, laufe das
Geschäft nahezu wie vor Corona, so die Einschätzung des Vereins.
«Allerdings unter nochmal deutlich schlechteren Bedingungen. Die
Frauen sind im Dauer-Angstzustand», meint Hannah Drechsel anhand der
von ihr gesammelten Eindrücke. Auf der einen Seite drohten bei
Verstößen Bußgelder, auf der anderen Seite seien die Betroffenen auf

Einnahmen angewiesen.

Denn einen Anspruch auf staatliche Hilfe hätten sie meist nicht und
auch keine Krankenversicherung - dafür hohe Schulden und Angst vor
einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Auch ein wirkliches Zuhause
haben viele der Frauen nicht: Sie wechseln wöchentlich oder alle zwei
Wochen die Bordellwohnung. Eine Tendenz für mehr Ausstiege aus dem
überwiegend kriminellen Milieu kann der Karo e.V. dennoch nicht
ausmachen. «Im Gegenteil, wir haben eher das Gefühl, dass die
Hilflosigkeit immer mehr wächst.»

In Leipzig wurden nach Angaben der Stadt bisher zwei Verfahren wegen
Verstößen gegen die Sächsische Corona-Schutz-Verordnung eingeleitet -

gegen die Betreiber der Prostitutionsstätten. Anzeigen gegen die
Prostituierten selbst habe es bisher nicht gegeben. Das Regelbußgeld
beträgt demnach 500 Euro.

In Dresden liegen sechs entsprechende Anzeigen vor, in Chemnitz sind
es vier und in Zwickau bislang sieben. Die Ordnungsämter
recherchieren demnach zum Teil selbst auf einschlägigen
Internetportalen, unternehmen dann auch gezielt Kontrollen und prüfen
zudem anonyme Hinweise.

Wie viele Menschen in Sachsen der Prostitution nachgehen, dazu gibt
es keine belastbaren Zahlen. Zwar gibt es laut dem seit 2016
geltenden Prostituiertenschutzgesetz eine Meldepflicht. Doch
Schätzungen zufolge ist die Zahl bundesweit rund 40 370 angemeldeten
Prostituierten (Statistischem Bundesamt, Stand Ende 2019) tatsächlich
mehr als zehnmal so hoch, wie es vom Karo e.V heißt.

«Dieses Gesetz trifft die Lebensrealität der Frauen nicht und hat im
Wesentlichen nichts gebracht», lautet das Urteil von Helmut Sporer.
Der pensionierte Kriminaloberrat war als Sachverständiger in den
Prozess eingebunden, fordert inzwischen aber ein deutlich härteres
Vorgehen und die Kriminalisierung der Freier. «Durch Corona sind die
Missstände nochmal offenkundiger geworden», sagt der Experte. Das
Bild von der selbstbestimmten Hure und sauberen Bordellen sei gut
gemachte PR einer gut organisierten Lobby. «Tatsächlich wird das Gros
der meist jungen Mädchen ausgenutzt und missbraucht - daran muss sich
gerade jetzt grundlegend etwas ändern.» Die Situation der meisten
Prostituierten sei in der Corona-Pandemie noch desolater geworden.