250 000 Corona-Tote und das «Machtvakuum» in Washington Von Lena Klimkeit, dpa

Die USA befinden sich an ihrem bisher schlimmsten Punkt in der
Corona-Pandemie - doch der abgewählte Präsident Trump bleibt nach
seiner Niederlage in Deckung. Sein Nachfolger Biden demonstriert
im Kampf gegen Corona Tatendrang - aber ihm sind die Hände gebunden.

Washington (dpa) - Seit seiner Wahlniederlage war Donald Trump vier
Mal auf dem Golfplatz, hatte zwei Auftritte in der Öffentlichkeit und
hat auf Twitter zig Nachrichten zu angeblichem Wahlbetrug abgesetzt.
Seit seiner Niederlage gegen Joe Biden starben mehr als 11 000
Menschen nach einer Infektion mit dem Coronavirus - insgesamt hat das
Land in der Pandemie mehr als eine Viertelmillion Tote zu beklagen.
Doch es scheint, als habe der abgewählte Präsident jegliches
Interesse daran verloren, das Land durch die Krise zu führen.

Um zu verdeutlichen, was das bedeutet, greift der Journalist Max Boot
in der «Washington Post» zu einem drastischen Gedankenspiel: «Stellen

Sie sich vor, Präsident Franklin D. Roosevelt hätte im November 1942
beschlossen, sich aus dem Zweiten Weltkrieg zurückzuziehen, weil es
nicht so gut lief, wie er gehofft hatte.»

Seit Monaten machen Kritiker Trump für schwere Versäumnisse im Kampf
gegen die Pandemie verantwortlich. Vorgeworfen wird ihm unter
anderem, das Virus zu verharmlosen - auch trotz seiner eigenen
Covid-19-Erkrankung im Oktober, nach der er die Amerikaner dazu
aufrief, «keine Angst» vor dem Virus zu haben. Im Wahlkampf
behauptete er immer wieder, die USA hätten die Pandemie fast hinter
sich. Die Fakten sprachen schon da eine andere Sprache. Am Wahltag
wurden erstmals mehr als 100 000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden
verzeichnet. Der Tageswert lag zuletzt im Schnitt bei rund 150 000.

«Im letzten Jahrhundert gab es in der amerikanischen Geschichte keine
Erfahrung, die so ein Massensterben verursacht hat, kein Krieg, keine
Naturkatastrophe und keine Pandemie einer Infektionskrankheit mit
Ausnahme der Grippepandemie von 1918/1919», sagte der
Medizinhistoriker von der Universität Michigan, Howard Markel,
angesichts der Vielzahl an Toten am Donnerstag dem Radiosender NPR.

Doch auch die Eskalation der Corona-Krise bringt Trump nicht aus der
Deckung. Noch immer hat er seine Niederlage gegen Biden nicht
eingeräumt und lässt die Tage weitgehend ohne bekannte Termine
verstreichen. Seine Sprecherin Kayleigh McEnany sagte zwar am
Mittwoch, der Präsident sei wegen des Virus und dem Abzug von
mehreren Tausend Soldaten aus Afghanistan und dem Irak schwer
beschäftigt. Die Öffentlichkeit bekommt davon jedoch nicht viel mit.

Wenn sich Trump zu Corona äußert, dann im Zusammenhang mit den
jüngsten Fortschritten in der Impfstoff-Entwicklung. Neue Maßnahmen
zum Schutz der Bevölkerung kündigt er nicht an. Seit Monaten habe der
amtierende Präsident zudem nicht mehr an Sitzungen der
Corona-Arbeitsgruppe im Weißen Haus teilgenommen, sagte der
Immunologe Anthony Fauci kürzlich.

Der gewählte US-Präsident Joe Biden demonstriert in der Corona-Krise
Tatendrang. Unmittelbar nach seinem Wahlsieg stellte er seinen
Corona-Expertenrat vor. Zudem erinnert er die Amerikaner immer wieder
an die Bedeutung des Tragens von Masken und stimmt sie auf einen
«sehr dunklen Winter» ein.

Am Mittwoch kam er in einer Videoschalte mit Beschäftigten im
Gesundheitsbereich zusammen. Mary Turner arbeitet als
Krankenschwester auf einer Intensivstation im US-Staat Minnesota. Sie
schilderte, wie sie die Hand sterbender Patienten gehalten habe, die
um ihre Familien geweint hätten, die sie nicht mehr hätten sehen
können. Wie ihre eigenen Kollegen beatmet werden mussten und um ihr
Leben kämpften. «Wir kennen den richtigen Weg, das Virus zu
bekämpfen», doch die Regierung und die Arbeitgeber schützten die
Arbeiter an vorderster Front nicht, sagte Turner. Zum Beispiel gebe
es immer noch nicht genügend Schutzmasken, weswegen sie trotz des
erhöhten Risikos wiederverwendet werden müssten.

Während Turner erzählte, holte Biden ein Taschentuch heraus und rieb
sich damit die Augen. Mit Blick auf seine künftige Verantwortung in
der Pandemie sagte Biden anschließend: «Das ist, als würde man in
den Krieg ziehen, man braucht einen Oberbefehlshaber. (...) Ich werde
Fehler machen, aber ich verspreche Ihnen, ich werde sie eingestehen.»

Doch bis zu seiner Amtseinführung am 20. Januar sind dem Demokraten
weitgehend die Hände gebunden. Trumps Weigerung, die Übergabe der
Regierungsgeschäfte einzuleiten, könnte zudem den Start im Weißen
Haus erschweren. «Wenn wir uns nicht abstimmen, könnten mehr Menschen
sterben», warnte Biden am Montag. In einer Krise wie der Pandemie sei
die Übergabe der Amtsgeschäfte wichtiger denn je, mahnte auch
Immunologe Fauci, der als Direktor der Nationalen Instituts für
Infektionskrankheiten fünf Regierungsübergaben miterlebt habe. «Es
ist wie die Übergabe eines Staffelstabs in einem Rennen: Man will
nicht, dass jemand anhält, gib ihn weiter und lass ihn loslaufen.»

Die Gouverneurin von Michigan, die Demokratin Gretchen Whitmer,
zeigte sich angesichts des «Machtvakuums» in Washington alarmiert.
Die Gouverneure müssten nun alles Mögliche tun, um Leben zu retten,
und den Rat der Gesundheitsexperten zu befolgen, sagte sie am Montag.
Viele Staaten haben ihre Corona-Auflagen inzwischen wieder
verschärft. Whitmer rief mit Kollegen aus anderen stark betroffenen
Staaten im Mittleren Westen die Bevölkerung vor dem Thanksgiving-Fest
kommende Woche zur Vorsicht und zum Maskentragen auf.

Das Weiße Haus sendet eine andere Botschaft. Trumps Sprecherin sagte
im Streit über die Corona-Maßnahmen am Mittwoch bei Fox News, es sei

nicht «die amerikanische Art», Menschen 30 Tage ins Gefängnis zu
stecken, wenn man mit mehr als sechs Leuten zu Hause feiere. Sie
spielte damit auf die Aussage der Gouverneurin von Oregon, Kate
Brown, an, dass beim Verstoß gegen die Corona-Regeln schlimmstenfalls
die Festnahme drohe. «Wir verlieren unsere Freiheit in diesem Land
nicht», sagte McEnany. «Wir treffen als Individuen
verantwortungsvolle Entscheidungen für die Gesundheit.»

Doch mittlerweile haben auch mehrere republikanische Gouverneure
Maßnahmen ergriffen, gegen die sie sich zuvor noch gesperrt hatten.
In North Dakota etwa verfügte Gouverneur Doug Burgum eine
Maskenpflicht und Einschränkungen für Restaurants. In West Virgina
ordnete Gouverneur Jim Justice an, dass ab sofort in geschlossenen
öffentlichen Räumen Masken getragen werden müssen.

Das gegensätzliche Vorgehen der politischen Lager - Beschwichtigung
auf der einen Seite, strenge Maßnahmen auf der anderen - ist nicht
folgenlos geblieben. Selbst Patienten, die im Sterben liegen, wollten
nicht wahr haben, dass das Virus existiere, berichtete die
Krankenschwester Jodi Doering, die im Bundesstaat South Dakota
arbeitet, bei CNN. «Ihre letzten Worte sind: Das kann nicht sein, das
ist nicht real.» Einige Patienten wollten lieber glauben, sie hätten
Lungenkrebs. Auf Twitter schrieb sie, andere würden sie anschreien,
«magische Medizin» fordern und sagen, dass Biden die USA ruinieren
werde - all das, während sie nach Luft schnappten.