Baden-Württemberg vor Alarmstufe Rot - Maskenpflicht im Unterricht

Das Land kämpft mit aller Macht darum, die Kontrolle über die
Pandemie zu behalten. Baden-Württemberg bewegt sich Schritt für
Schritt auf einen zweiten Lockdown zu - um einen kompletten
Stillstand noch abzuwenden.

Stuttgart (dpa) - Wegen dramatisch steigender Infektionszahlen steht
Baden-Württemberg vor der Ausrufung der höchsten Corona-Alarmstufe -
und vor weiteren Einschränkungen des Alltags. Ab kommender Woche gilt
die Maskenpflicht an weiterführenden Schulen auch im Unterricht. «Die
Erweiterung der Maskenpflicht ab Klasse 5 auf den Unterricht gilt ab
einer landesweiten Sieben-Tage-Inzidenz von über 35», teilte eine
Sprecherin des Kultusministeriums am Freitag der Deutschen
Presse-Agentur mit. «Wir werden heute die Schulen darüber
informieren, dass dies dann ab kommenden Montag zu beachten ist.»

Am Freitag lag die Inzidenz im Südwesten bei 42,2 Neuinfektionen pro
100 000 Einwohner innerhalb einer Woche. Im Landkreis Esslingen war
dieser Wert mit 89,3 am höchsten.

Bislang galt die Maskenpflicht ab Klasse 5 und an weiterführenden
Schulen in Baden-Württemberg lediglich auf sogenannten
Begegnungsflächen wie Schulfluren, Aula und Toiletten. An
Grundschulen müssen weiterhin keine Masken getragen werden. Im
Corona-Hotspot Stuttgart gilt bereits eine Maskenpflicht im
Unterricht.

«Wenn die Zahlen so steigen wie jetzt in ganz Baden-Württemberg,
müssen wir striktere Maßnahmen ergreifen», sagte Kultusministerin
Susanne Eisenmann (CDU) am Freitag bei einer Veranstaltung des
Städtetags. «Ich bin zuversichtlich, dass das die Schulen
hinbekommen.» Derzeit befänden sich gut 600 von 67 500 Klassen in
Quarantäne. «Das verteilt sich gut.»

«Das halte ich für konsequent», kommentierte die Landesvorsitzende
der Bildungsgewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Doro
Moritz, die Maskenpflicht. Die Lüfterei in den Klassenzimmern
funktioniere nicht wirklich. Man müsse jede weitere Maßnahme nutzen.
Am wichtigsten sei aber Abstand. Moritz plädierte für einen
Schichtbetrieb an den Schulen. So könnte beispielsweise im Tausch die
halbe Klasse im Klassenzimmer lernen und die andere Hälfte den
Unterricht digital verfolgen. Moritz sagte, sie denke nicht, dass man
um eine erneute Einschränkung des Präsenzunterrichts herumkomme.

Die Landesregierung hatte im September ein dreistufiges Alarm-System
im Kampf gegen eine zweite Corona-Welle eingeführt. Entscheidend für
die Einstufung dabei ist die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz. Aber
auch andere Faktoren spielen bei der Bewertung eine Rolle, etwa die
absoluten Infektionszahlen, die Zahl der Tests oder der
Reproduktionswert (R-Wert), der angibt, wie viele Menschen ein
Erkrankter im Schnitt mit dem Virus ansteckt.

Vergangene Woche wurde die «Anstiegsphase» ausgerufen, in der
Ausbrüche zunehmen, Landkreisgrenzen überschreiten und zunehmend
nicht mehr nachzuvollziehen sind. Diese Stufe 2 wird begleitet von
verschärften Kontrollen und Appellen.

Die dritte, kritische Phase beinhaltet weitere Einschränkungen des
öffentlichen Lebens - unter anderem die landesweite Maskenpflicht im
Unterricht. Sie gilt vor allem ab einer landesweiten
Sieben-Tage-Inzidenz von 35 Fällen auf 100 000 Einwohner. Dann
besteht ein starker, möglicherweise exponentieller Anstieg der
Fallzahlen mit diffusen, häufig nicht mehr nachvollziehbaren
Infektionsketten.

Nach dem Konzept der Landesregierung soll dann im Einzelhandel die
Anzahl der Personen pro Verkaufsstelle eingeschränkt werden. In der
Gastronomie könnten dann der Ausschank von Alkohol eingeschränkt und
der Betrieb auf Außenbereiche beschränkt werden. Veranstaltungen und
Kontaktmöglichkeiten sollen eingeschränkt, Hygienemaßnahmen sowie
Sanktionen bei Verstößen ausgeweitet werden. Die Regelversorgung in
Krankenhäusern soll auf das Nötigste beschränkt werden. Mit diesen
Maßnahmen soll ein allgemeiner Lockdown - die Schließung von Schulen
und Betrieben - möglichst vermieden werden.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann kündigte am Freitag an, dass
die Bürger damit rechnen müssten, dass spätestens am Montag die
dritte Pandemiestufe ausgerufen werde. Wenn es so weitergehe, werde
Baden-Württemberg am Wochenende bei mehr als 50 Neuinfektionen per
100 000 Einwohner innerhalb einer Woche liegen, sagte der
Grünen-Politiker bei der Hauptversammlung des Städtetags
Baden-Württemberg, die per Videokonferenz stattfand.

Die SPD vermisst allerdings Konsequenz im Krisenmanagement der
Landesregierung. «Die meisten Inhalte des Landeskonzepts zur zweiten
Stufe stehen bisher nur auf dem Papier», sagte der
SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Stoch. «Daher habe ich die
Befürchtung, dass es bei der dritten Stufe auch nicht anders wird.
Aber die zweite Welle lässt sich nicht nur wegappellieren.»

Kretschmann appellierte am Freitag erneut an die Bevölkerung. «Wir
können die Welle nur dann brechen, wenn wir jetzt handeln.» Mehr denn
je komme es auf die Eigenverantwortung der Menschen an. Wenn die
Infektions-Dynamik nicht gebrochen werde, werde es selbstverständlich
auch keine Weihnachtsmärkte geben, sagte Kretschmann.

Im Streit um Beherbergungsverbote und das Krisenmanagement von Bund
und Ländern machte sich Kretschmann für den Föderalismus stark und
forderte ein Ende der «Debatte um Kleinstaaterei». In Ländern wie
Mecklenburg-Vorpommern gebe es eben vergleichsweise niedrige
Infektionszahlen. «Die müssen doch nicht dieselben Regeln machen wie
wir.» Mit dem Föderalismus sei man gut gefahren verglichen mit den
Nachbarländern Deutschlands.

Für Einreisende aus grenznahen Risikogebieten, die sich weniger als
24 Stunden in Baden-Württemberg aufhalten, gilt ab Samstag eine
Ausnahmeregelung von der Quarantänepflicht, wie das Sozialministerium
in Stuttgart am Freitagabend mitteilte.