Schärfere Corona-Schutzmaßnahmen: Die Lage in Niedersachsen

Noch nie sind innerhalb eines Tages so viele Corona-Neuinfektionen
gemeldet worden. Bund und Länder ziehen die Schutzmaßnahmen wieder
an. Reicht das, um einen zweiten Lockdown zu vermeiden? Niedersachsen
sieht sich bisher gut gerüstet - aber auch hier steigen die Zahlen.

Hannover/Berlin (dpa/lni) - Die Gesundheitsbehörden haben in
Niedersachsen und auch bundesweit eine Rekordzahl täglicher
Neuinfektionen mit dem Coronavirus gemeldet. Nach Angaben des
Landesgesundheitsamts in Hannover vom Donnerstagmorgen kamen im Land
zuletzt 479 bestätigte Ansteckungen binnen 24 Stunden hinzu - für
ganz Deutschland nannte das Robert Koch-Institut in Berlin 6638
registrierte Fälle. Die Verschärfung der Schutzmaßnahmen, auf die
sich die Regierungschefs der Länder und Kanzlerin Angela Merkel (CDU)
am Mittwochabend geeinigt hatten, soll die weitere Ausbreitung des
Erregers eindämmen. Wie beurteilt Ministerpräsident Stephan Weil
(SPD) die Situation, und wie ist der Stand in Niedersachsen?

Die Infektionslage: Bis Donnerstag wurden in Niedersachsen insgesamt
24 367 Corona-Infektionen registriert. Im Vergleich zum Vortag wuchs
die Zahl um 479, der bisherige Höchstwert hatte am 27. März bei 449
bestätigten Fällen binnen eines Tages gelegen. Die wichtige
Sieben-Tages-Inzidenz - die Durchschnittszahl der Neuansteckungen auf
100 000 Einwohner über eine Woche - lag bei 27,4. Regional ist das
Infektionsgeschehen aber sehr uneinheitlich: Während es in der Stadt
Delmenhorst (163,7) oder im Kreis Cloppenburg (96,7) sowie in
etlichen westniedersächsischen Regionen wie der Grafschaft Bentheim
(87,5), dem Kreis Vechta (76,3) oder dem Kreis Emsland (64,8) hohe
Werte gibt, ist die Lage in anderen Gebieten entspannter - teilweise
mit Werten unter 5 und einer rückläufigen Entwicklung. Mittlerweile
starben 709 Menschen in Niedersachsen im Zusammenhang mit Covid-19.

Private Feiern: Bereits wenn es in einer Region mehr als 35
Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner über sieben Tage gibt, sollen
sich höchstens noch 25 Menschen im öffentlichen und 15 im privaten
Raum treffen dürfen. Steigt der relative Wert auf 50 Neuansteckungen,
sind es bei privaten Feiern maximal zehn Menschen aus zwei
Hausständen - weitere Verschärfungen sind möglich. Weil erklärte,
solche Begrenzungen seien in Niedersachsen grundsätzlich Bestandteil
des Konzepts. «Die einzelnen Beschlüsse werden nun im Detail mit den
Beteiligten zu beraten sein», sagte er in der Nacht zum Donnerstag.

Nicht notwendige Reisen vermeiden: Der Ministerpräsident appellierte
an die Menschen, ihre Mobilität möglichst zu begrenzen und auf nicht
nötige Reisen zu verzichten. «Ein Blick zu unseren Nachbarn in den
Niederlanden zeigt deutlich, dass es sehr schnell zu einem
dynamischen Infektionsgeschehen mit erneuten massiven Einschränkungen
kommen kann», betonte er. Dort gilt inzwischen wieder ein teilweiser
Lockdown mit geschlossener Gastronomie. «Das wollen wir in
Deutschland und in Niedersachsen unbedingt verhindern.»

Hilfe bei der Kontakt-Nachverfolgung: Nach Einschätzung Weils lassen
sich lokal abgestimmte Maßnahmen gegen das Infektionsgeschehen noch
angemessen steuern. «Vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
der Gesundheitsämter kommen aber teilweise bei der
Kontakt-Nachverfolgung an ihre Belastungsgrenzen.» Gegenseitige
Unterstützung zwischen Bund, Ländern und Kommunen sei daher wichtig,
um Beschäftigte zu entlasten - «auch durch die weitere Unterstützung

durch die Bundeswehr». In etlichen Ämtern helfen Soldaten bei der
Aufbereitung der Daten und Ermittlung von Kontakten Infizierter mit.

Weitere Regelverschärfungen: Eine erweiterte Maskenpflicht soll
künftig schon ab einer Inzidenz von 35 gelten - überall dort, wo
Menschen dichter oder länger zusammenkommen. Ab einem Wert von 50
greift eine Sperrstunde um 23.00 Uhr für die Gastronomie, Bars und
Clubs sollen geschlossen werden. Bei Veranstaltungen wird die Zahl
der Teilnehmer auf 100 begrenzt. Beim umstrittenen
Beherbergungsverbot, das auch zahlreiche Hoteliers in Niedersachsen
sehr kritisch sehen, gab es noch keine Einigung. Hierüber soll ab dem
8. November erneut gesprochen werden. Der FDP-Fraktionschef im
Landtag, Stefan Birkner, zeigte sich enttäuscht: «Leider haben die
Ministerpräsidenten die Gelegenheit versäumt, das Beherbergungsverbot
wieder zurückzunehmen.»

Reicht das alles aus? Die Kanzlerin hatte sich skeptisch gezeigt, ob
sich die zweite Corona-Welle mit dem bisherigen Maßnahmenpaket
hinreichend abschwächen lasse. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn
(CDU) sagte am Donnerstagmorgen im Deutschlandfunk, es gebe ein
gemeinsames Grundverständnis über die Notwendigkeit eines höheren
Schutzniveaus - die Menschen müssten dies nun aber auch beibehalten.
Er appellierte an die Bevölkerung, die Maßnahmen mitzutragen: «Wir
haben es selbst in der Hand, diese Entwicklung zu stoppen.» Ziel sei
es, die Pandemie in eine zu bewältigende Größenordnung zu bringen,
«damit Schule und Kita und Einzelhandel geöffnet bleiben können».