Drosten: Können Ältere im Kampf gegen Corona nicht völlig abschirme n

Wenn Deutschland dem Coronavirus freien Lauf lasse, seien auch mehr
jüngere Mütter und Väter gefährdet, mahnt der Virologe Drosten. In

über der Hälfte der Fälle sei die Quelle der Ansteckung zudem bislang

nicht aufklärbar. Da könne ein Cluster-Kontakttagebuch helfen.

Berlin (dpa) - Der Virologe Christian Drosten hat sich deutlich gegen
die Idee ausgesprochen, sich in der Corona-Pandemie nur auf den
Schutz von Älteren und anderen Risikogruppen zu konzentrieren,
während der Rest der Gesellschaft zum Alltag zurückkehrt. Zum einen
könne es nicht gelingen, die Älteren komplett abzuschirmen, sagte der
Charité-Wissenschaftler in der am Dienstag veröffentlichten Folge des
«Coronavirus-Update» bei NDR-Info. Zum anderen gebe es auch in den
jüngeren Altersgruppen nicht so wenige Risikopatienten.

Ließe man das Virus in den jüngeren Altersgruppen durchlaufen, gäbe
es viele Infektionen auf einmal und man komme auch da an die
Belastungsgrenze der Medizin, so Drosten. Dabei gehe es dann aber um
einen Patiententyp mit anderer gesellschaftlicher Wahrnehmung: «Da
würden eben junge Familien auch den Familienvater verlieren oder auch
die Mutter.» Das sei «eine ganz andere Konsequenz und das kann man
einfach so nicht durchlaufen lassen», betonte der Virologe.
Hintergrund ist ein offener Brief von drei Wissenschaftlern aus den
USA und Großbritannien, die sich gegen bevölkerungsweite Maßnahmen
aussprechen - auch andere Experten widersprachen ihnen bereits.

Daneben verlieh Drosten seiner Forderung nach einheitlichen Regeln in
der Corona-Pandemie Nachdruck: Das Virus werde sich immer weiter
geografisch verteilen, dementsprechend hätten im Laufe der Zeit
lokale Maßnahmen «immer weniger Durchgriff», sagte er. Umso wichtiger

sei es jetzt schon, «allgemeingültige Maßgaben zu formulieren» und

den Ereignissen damit nicht hinterherzulaufen. Man habe im Land jetzt
ein doch «sehr schnelles Geschehen». Selbst im theoretischen Fall
eines absoluten Lockdowns stiegen die Fallzahlen noch ein oder zwei
Wochen, erläuterte der Virologe. Die Menschen, die nächste Woche als
infiziert gemeldet werden, hätten sich ja jetzt schon infiziert.

Drosten appellierte erneut an die Menschen - neben dem Einhalten der
Aha-Regeln - ein sogenanntes Cluster-Kontakttagebuch zu führen. Man
solle sich fragen: «Wo war ich heute, wo es mir eigentlich nicht ganz
geheuer war?». Es geht etwa um Treffen mit einer Gruppe in einem
geschlossenen Raum, ohne ausreichend Abstand, zum Beispiel im
Restaurant oder im Beruf. Dies soll unter anderem helfen, im Fall
einer Infektion die Situation ausfindig zu machen, in der man sich
wahrscheinlich angesteckt hat - wie womöglich auch andere Teilnehmer.


Oft könnten sich Menschen an solche Gefährdungssituationen vor sieben
bis zehn Tagen nicht erinnern, so Drosten. In den Meldestatistiken
gewinne man den Eindruck, die Infektionen kämen aus Familienfeiern
und Haushalten. In mehr als der Hälfte der Fälle sei die Quelle der
Ansteckung allerdings nicht aufklärbar, sagte er. Von den
Aufzeichnungen verspricht er sich auch eine Sensibilisierung der
Menschen, solche Situationen zu vermeiden. «Denn es ist ja auch nicht
so, dass Politiker jede kleine Situation im Alltag regulieren können
und am besten noch separat pro Bundesland», sagte er.