Corona - Kretschmann pocht vor Spitzentreffen auf Einigkeit

Die Kleinstaaterei bei den Corona-Regeln bereiten Föderalismusfan
Kretschmann Kopfschmerzen. Um Glaubwürdigkeit zu behalten, sei
Verständigung zwischen den Ländern angesagt. Ob er damit beim
bevorstehenden Treffen mit seinen Amtskollegen durchdringt?

Stuttgart (dpa/lsw) - Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne)
dringt auf Konsens der Bundesländer im Kampf gegen die
Corona-Pandemie. Deshalb habe er eine Änderung des bestehenden
Beherbergungsverbotes zugunsten von Geschäftsreisenden aus
Risikogebieten mit Blick auf ein Treffen von Kanzlerin Angela Merkel
(CDU) und den Ministerpräsidenten auf Eis gelegt, sagte er am
Dienstag in Stuttgart. Es mache keinen Sinn, die beabsichtigte
Ausnahme für Dienstreisen gleich nach der Zusammenkunft womöglich
wieder modifizieren zu müssen. Unter den Bundesländern ist das
Beherbergungsverbot sehr umstritten.

Kretschmann sprach von einem «gigantischen Aufreger-Thema». Er gab
auch zu bedenken, dass das Virus nicht zwischen Geschäftsreisenden
und Urlaubern unterscheide. Sofern sich die Lage nicht sehr
unterschiedlich darstelle, plädiere er für eine bundesweit
einheitliche Regelung. «Sonst haben die Leute damit Probleme.» 

Merkel hat die Regierungschefs für diesen Mittwoch nach Berlin
eingeladen. Er sei davon überrascht gewesen, sagte Kretschmann. Aber
im persönlichen Kontakt könne man anders mit Dissonanzen umgehen als
über Videoschalten. Das Wort der Kanzlerin habe großes Gewicht.

Eine Übernachtung in Hotels oder Pensionen im Südwesten ist Menschen
aus Risikogebieten - seien es Urlauber oder Geschäftsreisende -
derzeit nur erlaubt, wenn sie einen negativen Corona-Test vorlegen
können, der nicht älter als 48 Stunden ist. Als Risikogebiete gelten
Städte oder Landkreise, in denen es in den vergangenen sieben Tagen
mehr als 50 Neuinfektionen mit dem Coronavirus pro 100 000 Einwohner
gab. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband hatte das als
unsinnig, unpraktikabel und unverhältnismäßig kritisiert. Die Branche

drohe erneut massiv geschädigt zu werden. Die beiden CDU-Minister
Nicole Hoffmeister-Kraut (Wirtschaft) und Guido Wolf (Tourismus)
hatten ebenfalls dafür plädiert, zumindest das Verbot für
Geschäftsreisende zu kippen.

Die Diskussion um die bereits seit Monaten bestehende Regelung ist
jetzt dadurch angeheizt worden, dass immer mehr Städte und Regionen
den kritischen Wert überschreiten und ihre Bürger konkret betroffen
sind. Im Südwesten sind es die Landeshauptstadt Stuttgart und der
Landkreis Esslingen.

Kretschmann geht mit zwei Grundpositionen in das
Spitzentreffen: einen erneuten Lockdown in der Wirtschaft und im
Bildungsbereich vermeiden und durch das Nachverfolgen von
Infektionsketten die Kontrolle über das Ansteckungsgeschehen
behalten. «Das wird eine schwierige Kiste morgen», sagte er mit Blick
auf die Runde mit seinen Amtskollegen.

Kretschmann appellierte angesichts stark steigender Infektionszahlen
auch an das Verantwortungsgefühl der Menschen. «In einem Rechtsstaat
muss man nicht alles machen, was man darf.» Es sei trotz der
bevorstehenden Herbstferien nicht die Zeit, «in der Gegend
rumzureisen, wie man es gewohnt ist». Es gehe darum, die Zahl der
Kontakte in Grenzen zu halten. «Die Frage ist: Wie vermeiden wir,
dass die Welle hochschießt?»

Konkrete Aussagen zu einem verfügbaren Impfstoff gegen das
Coronavirus gibt es nach Angaben Kretschmanns noch nicht. «Bei aller
verständlichen Ungeduld: Das müssen wir akzeptieren. Belastbare
Aussagen, wann es einen Impfstoff gibt, kann niemand machen, schon
gar nicht ich.» Sozialminister Manne Lucha (Grüne) sagte, man rechne
mit 9,3 Millionen zu impfenden Menschen und sei im Aufbau der
notwendigen Logistik und Ausstattung - bis hin zum Tupfer.

Der Vorschlag aus der Hamburger CDU, die Weihnachtsferien an den
Schulen wegen Corona zu verlängern, findet in der grün-schwarzen
Landesregierung keine Befürworter. Wichtigster Grund: erneut große

Betreuungsprobleme von Kindern und Jugendlichen. Schulen und Kitas
sind laut Lucha keine primären Orte der Ansteckung. Von 60 000
Schulklassen im Land seien 517 in Quarantäne.

Zu beobachten seien nach den erhöhten Zahlen bei jungen Menschen und
Reiserückkehrern mehr Ansteckungen bei Senioren und
Pflegebedürftigen. Da jeder Patient vor der Aufnahme in die Klinik
getestet werde, würden auch zahlreiche Infizierte ohne Symptome
identifiziert und in Quarantäne geschickt, erläuterte Lucha. Die
Krankenhäuser im Land sind nach Darstellung der Regierung auch bei
einer rasanten Zuspitzung in der Lage, ihre Kapazitäten für
Corona-Patienten rasch hochzufahren.