«Wir haben gesehen, wie das Eis der Aktis stirbt» - Forscher zurück Von Janet Binder, dpa

Hinter dem Eisbrecher «Polarstern» liegt eine Reise der Superlative.
In der Zentralarktis ließ er sich vom Packeis einschließen. Jetzt
beginnt die nächste wichtige Arbeit für die Wissenschaft.

Bremerhaven (dpa) - Sie froren bei minus 42 Grad Celsius, trotzten
mächtigen Stürmen, arbeiteten rund 150 Tage in völliger Dunkelheit
und erlebten im Sommer eine historische Meereisschmelze:
Internationale Wissenschaftler waren ein Jahr auf dem deutschen
Forschungsschiff «Polarstern» in der Zentralarktis unterwegs. Am
Montag kehrte der Eisbrecher von der Expedition namens «Mosaic»
zurück in seinen Heimathafen Bremerhaven. Ein Schiffskorso und
zahlreiche Schaulustige an Land begleiteten das Einlaufen
der «Polarstern». Am 20. September 2019 hatte die Fahrt in Norwegen

begonnen.

«Sie sehen mich überglücklich», sagte Expeditionsleiter Markus Rex

nach der Ankunft in Bremerhaven. Die Fahrt sei ein voller Erfolg
gewesen, es seien Unmengen an Daten gewonnen worden, die nun noch
über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte die Wissenschaft beschäftigen
würden. Froh sei er aber auch, dass die Menschen an Bord alle ihre
Finger behalten hätten, «weil es bei einem auf der Kippe stand». Di
e
gefühlte Temperatur lag in der winterlichen Arktis bei unter minus 65
Grad Celsius.

Fast zehn Monate lang driftete der Eisbrecher angedockt an eine
riesige Eisscholle durch das Nordpolarmeer - nach dem Vorbild der
Reise des Norwegers Fridtjof Nansen mit dem Segelschiff «Fram»
vor
rund 125 Jahren. Route und Geschwindigkeit bestimmte die Drift des
Eises, getrieben von Wind und Strömung. Wissenschaftler von 80
Instituten aus 20 Ländern konnten so den gesamten Eiszyklus vom
Gefrieren bis zur Schmelze messen und dokumentieren. Normalerweise
ist die winterliche Arktis unzugänglich. 

Die Wissenschaft verspricht sich von den Daten und Proben von Eis,
Schnee, Ozean und Atmosphäre wichtige Erkenntnisse. Die
Messungen hätten «nachdrücklichen Einfluss auf die Arktisforschung
»,
sagte Rex. Die Arktis gilt als Frühwarnsystem für Klimaveränderungen,

sie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von allen Erdregionen am
stärksten erwärmt. So war sie zu Zeiten Nansens im Winter noch zehn
Grad kühler. 

Mit 140 Millionen Euro Budget war es die bisher teuerste und
logistisch aufwendigste Expedition in die zentrale
Arktis. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) kündigte an,
zusätzliche zehn Millionen Euro für die Auswertung der Daten zur
Verfügung zu stellen, um möglichst schnell erste Ergebnisse vorliegen
zu haben. «Nur wenn wir wissen, wie sich das Klima in der Arktis
entwickelt, sind wir in der Lage, auch bei uns in Deutschland
Vorsorge gegen Klimaveränderung zu treffen und effektiv dem
Klimawandel entgegenzuwirken», sagte die Ministerin. Die Arktis sei
das Epizentrum des Klimawandels.

Rund 450 Menschen aus allen Ecken der Welt waren etappenweise an Bord
der «Polarstern». «Dieses Jahr hat niemanden unverändert gelassen
»,
sagte Rex. Die gewonnenen Eindrücke prägten jeden. Im Unterschied z
ur
«Fram» war das Schiff aber nicht auf sich allein gestellt. Andere
Eisbrecher versorgten es regelmäßig mit neuem Personal,
Lebensmitteln, Material und Treibstoff. Geplant war im Frühjahr auch
ein Austausch per Flugzeug. Wegen der Corona-Pandemie und den damit
verbundenen Reisebeschränkungen war das aber nicht möglich.

Corona habe die Expedition «an den Rand des Abbruchs gebracht»,
betonte Rex. Weltweit mussten Forschungsschiffe ihre Fahrten wegen
der Pandemie beenden. Die «Mosaic»-Expedition aber konnte fortgesetzt
werden: Die «Polarstern» unterbrach nur für kurze Zeit ihre Drift
, um
die neue Mannschaft in Spitzbergen an Bord zu nehmen. Diese war per
Schiff von Bremerhaven aus aufgebrochen. Die «Polarstern» kehrte
zurück an ihre Scholle und setzte die Drift fort. In den folgenden
beiden Expeditionsetappen setzte im sommerlichen Nordpolarmeer eine
nie gekannte Meereisschmelze ein. «Wir haben gesehen, wie das Eis der
Arktis stirbt», sagte Rex.