4721 neue Corona-Fälle in Deutschland - schärfere Einschränkungen

Die Corona-Infektionszahlen in Deutschland steigen - und damit auch
wieder die Einschränkungen für viele Menschen. Kaum durchschaubar ist
derzeit, wo welche Regeln gelten. Das ruft zunehmend Kritik hervor.

Berlin (dpa) - Die Corona-Neuinfektionen in Deutschland steigen
stetig weiter, in immer mehr Großstädten wird die Warnstufe von 50
Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen überstiegen. Die
Bürger müssen sich daher auf weitere Einschränkungen gefasst machen -

etwa auf eine nächtliche Sperrstunde wie sie seit Samstag in Berlin
gilt. Wirtschaftsverbände laufen Sturm gegen das uneinheitliche
Vorgehen der Bundesländer bei der Bekämpfung der Pandemie. Bei vielen
europäischen Nachbarn entwickelt sich das Infektionsgeschehen derweil
noch viel dramatischer als in Deutschland. Auch dort werden die
Sicherheitsmaßnahmen hochgefahren.

Zum dritten Mal in Folge gab es in Deutschland mehr als 4000
Neuinfektionen binnen einen Tages. Das Robert Koch-Institut meldete
am Samstagmorgen 4721 neue Fälle. Köln überschritt als weitere
deutsche Großstadt den wichtigen Wert von 50 Neuinfektionen pro 100
000 Einwohner in sieben Tagen. Das NRW-Landeszentrum Gesundheit gab
den Wert für die Millionenstadt am Samstag mit 54,8 an.

Die Kölner Stadtverwaltung hatte bereits von diesem Samstag an
zahlreiche Einschränkungen für das öffentliche Leben angeordnet. Zum

Beispiel darf auf Straßen und Plätzen ab 22.00 Uhr kein Alkohol mehr
getrunken werden. An den Wochenenden gilt an Party-Hotspots ein
Verkaufsverbot für Alkohol. In Fußgängerzonen gilt Maskenpflicht.

Deutschlandweit haben sich seit Beginn der Corona-Krise nach
RKI-Angaben mindestens 319 381 Menschen nachweislich mit dem Virus
Sars-CoV-2 infiziert. Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit
einer Corona-Infektion lag bei 9604. Das waren 15 mehr als am Vortag.
Etwa 273 500 Menschen haben die Infektion laut RKI überstanden. Die
Reproduktionszahl, kurz R-Wert, lag laut RKI-Lagebericht vom Samstag
bei 1,42 (Vortag: 1,34). Das bedeutet, dass ein Infizierter im Mittel
etwa 1,4 weitere Menschen ansteckt.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder rief die Menschen dazu auf,
umsichtig zu bleiben, um einen zweiten Lockdown zu verhindern.
«Leider sind wir auf dem Weg zu exponentiellem Wachstum, gerade in
den Großstädten ist die Herausforderung sehr, sehr groß», sagte der

CSU-Chef am Samstag bei der Landesversammlung der Frauen-Union. Dafür
machte er unter anderem leichtsinniges Verhalten und nachlassende
Disziplin bei den Hygiene- und Abstandsregeln verantwortlich.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte der dpa, gerade in
Großstädten wie Berlin lasse die Disziplin erkennbar nach, und die
Stadtpolitik mache erhebliche Fehler. «Der Berliner Senat scheint
hier vollkommen neben der Spur zu sein.»

Berlin versucht, mit strengeren Corona-Regeln der Ausbreitung des
Virus entgegenzuwirken. Seit Samstag müssen hier Restaurants, Bars,
Kneipen und die meisten Geschäfte von 23.00 bis 6.00 Uhr geschlossen
sein. Bei privaten Zusammenkünften in geschlossenen Räumen dürfen nur

noch höchstens zehn Menschen zusammenkommen. Im Freien dürfen sich
von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr nur noch fünf Personen versammeln. Die
schärferen Regeln traten um Mitternacht in Kraft. Die Polizei ließ
mehrere Betriebe schließen, die sich nicht daran hielten.

Elke Büdenbender, die Frau von Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier, zeigte Verständnis für die nächtliche Sperrstunde. «Das

Nachtleben ist in Berlin offensichtlich zu einem Turbobeschleuniger
für Corona-Infektionen geworden. Und jetzt blieben nur noch neue
Verbote», sagte sie der «Berliner Zeitung».

In der Hauptstadt protestierten am Samstag wieder zahlreiche Gegner
der Corona-Politik in Deutschland. Die Polizei sprach von mehreren
tausend Teilnehmern, die schweigend durch die Stadt zogen. Sie
hielten Abstand zueinander und trugen größtenteils Mund-Nasen-Schutz.

In einer Reihe von Bundesländern begannen die Herbstferien. Für
Menschen aus Corona-Hotspot gilt in einigen Ländern ein
Beherbergungsverbot. Das trifft zum Beispiel viele Berliner, die die
Ferien an der Ostsee verbringen wollten. In der Hauptstadt wurden pro
100 000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen 58,2 Corona-Fälle
erfasst, wie am Samstag aus dem Corona-Lagebericht der
Gesundheitsverwaltung hervorgeht.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann legte einen
Verzicht auf den Herbsturlaub nahe. «Vielleicht sollten die Bürger in
den Herbstferien nicht groß in der Gegend herumreisen. Weder im
Inland, noch im Ausland - und schon gar nicht in Risikogebiete»,
sagte der Grünen-Politiker im Interview mit der «Heilbronner Stimme»,

dem «Mannheimer Morgen» und dem «Südkurier».

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK),
Eric Schweitzer, kritisierte «unkoordinierte Regelungen» bei
Beherbergungsverboten. Dies sorge für große Verunsicherung bei den
Unternehmen, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag).
Schließlich hätten gerade die Betriebe in der Tourismuswirtschaft
sichere Hygienekonzepte ausgearbeitet, digitale Lösungen entwickelt
und sich unter erschwerten Bedingungen weiter engagiert.

Die Hauptgeschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbandes
Dehoga, Ingrid Hartges, bezeichnete es als «völlig unbefriedigend,
dass wir keine bundeseinheitlichen Regelwerke haben». Gäste wie
Hoteliers hätten unzählige Fragen und wüssten nicht, was jetzt im
Detail gelte. «Daher muss dringend mehr Einheitlichkeit her»,
forderte Hartges in der «Passauer Neuen Presse» (Online/Samstag).

Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas
Gassen, warf den Ländern überzogene Maßnahmen vor. «Diese
Regelungswut ist oft eher kontraproduktiv», sagte er der «Neuen
Osnabrücker Zeitung» (Samstag). Gassen bezeichnete innerdeutsche
Reisen als «Pseudo-Gefahr». Masseninfektionen gebe es durch
traditionelle Großhochzeiten, in Fleisch verarbeitenden Betrieben und
durch unkontrolliertes Feiern. Sperrstunden und Alkoholverbote wie in
Berlin seien «mehr als fragwürdig». «Durch den Wust an nicht
nachvollziehbaren Regelungen verlieren wir aber eventuell die
Akzeptanz für die Maßnahmen, die wirklich etwas bringen.»

Der Virologe Christian Drosten hält wieder mehr bundeseinheitliche
Regelungen für notwendig. «Es ist gut, wenn es klare Regeln gibt. Das
ist ganz eindeutig», sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland
(Samstag). «Das Virus wird sich immer gleichmäßiger verteilen. Wir
werden mehr und mehr in eine Situation kommen, wo man besser pauschal
reguliert.»

Andere europäische Staaten erleben bereits eine Entwicklung, wie sie
Politiker und Mediziner für Deutschland unbedingt vermeiden wollen:
So schnellte die Zahl der neuen Corona-Fälle in Tschechien am Freitag
um fast 3300 auf 8618 hoch. Das war bereits der vierte Tagesrekord in
Folge. In dem Land mit knapp 10,7 Millionen Einwohnern müssen ab
Montag Theater, Kinos, Museen, Galerien und Sportstätten für vorerst
zwei Wochen schließen. In Polen wurde erstmals die 5000er-Marke
überschritten. Innerhalb von 24 Stunden kamen 5300 neue Fälle hinzu,
die meisten davon in der Woiwodschaft Masowien, die auch die
Hauptstadt Warschau umfasst.

In den Niederlanden mit seinen gut 17 Millionen Einwohnern wurden
innerhalb eines Tages knapp 6000 Neuinfektionen gemeldet. Italien, wo
die Zahlen ebenfalls steigen, will offenbar die Restriktionen
verschärfen. Die Regierung in Rom plane ein striktes Verbot von
Gruppen im Freien vor Bars und Restaurants, hieß es am Samstag in
verschiedenen italienischen Zeitungen.