Großstädte wollen Corona-Anstieg bremsen - Beratungen mit Merkel

In großen Städten leben viele Menschen auf dichtem Raum. Die
Corona-Zahlen steigen stark. Und es wächst die Sorge, dass die
Gesundheitsämter die Lage nicht mehr im Griff haben.
Oberbürgermeister und Kanzleramt wollen gegensteuern.

Berlin/Hamburg (dpa) - Angesichts stark gestiegener
Corona-Infektionszahlen berät Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am
Freitag (12.30 Uhr) mit den Verantwortlichen der elf größten
deutschen Städte über die Lage. An der Videokonferenz werden nach
Angaben eines Regierungssprechers die Oberbürgermeister und
Bürgermeister von Berlin, Hamburg, Bremen, München, Frankfurt am
Main, Köln, Düsseldorf, Dortmund, Essen, Leipzig und Stuttgart
teilnehmen.

Die Corona-Entwicklung gerade in den Großstädten besorgt die Politik
zunehmend. In Berlin, Frankfurt und weiteren Städten wie Bremen hat
die sogenannte 7-Tage-Inzidenz den kritischen 50er-Wert
überschritten. Er bildet die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner binnen sieben Tagen ab und ist ein wichtiger Grenzwert für
schärfere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Zur Lage in der
Hauptstadt und der Gesamtentwicklung wollen sich am Morgen Berlins
Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und der Virologe
Christian Drosten äußern.

Am Donnerstag war bundesweit die Zahl der Neuinfektionen sprunghaft
auf mehr als 4000 Neuinfektionen binnen eines Tages gestiegen.
Städtetagspräsident Burkhard Jung bezeichnete den rasanten Anstieg
als Alarmzeichen. «Ob es gelingt, die zweite Corona-Welle zu bremsen,
wird sich in den nächsten Wochen in den großen Städten entscheiden»
,
sagte der Leipziger Oberbürgermeister der Deutschen Presse-Agentur.
«Denn dort leben viele Menschen auf dichtem Raum.»

«Die Städte tun alles, um die Pandemie unter Kontrolle zu halten»,
sagte Jung. Viele Städte handelten bereits nach einem Stufenkonzept.
«Sobald in einer Stadt die bundeseinheitlichen Stufen von 35 oder 50
Corona-Erkrankungen je 100 000 Einwohner überschritten werden,
greifen strenge Auflagen. Das können eine ausgeweitete Maskenpflicht
sein, Obergrenzen bei Veranstaltungen oder eingeschränkte
Besuchsregeln in Krankenhäusern oder Pflegeheimen.» Jung warnte
zugleich, wenn die Neuinfektionen weiter rasant stiegen, erreichten
die Gesundheitsämter ihre Grenzen.

Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) will im Gespräch
mit Merkel dafür werben, dass sich die Metropolen bei ihren
Corona-Maßnahmen noch besser koordinieren. «Das schafft
Verlässlichkeit und Vertrauen», sagte Feldmann der dpa.

Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn erinnert die Lage stark an
die Situation im März. «Immer mehr Fälle werden registriert, das
Infektionsgeschehen wird diffuser. Das bereitet uns Sorgen», sagte
der Grünen-Politiker. «Wir wollen einen weitreichenden Lockdown
verhindern.» Deshalb würden private Zusammenkünfte eingeschränkt. I
n
der baden-württembergischen Landeshauptstadt waren angesichts
steigender Infektionszahlen bereits am Mittwoch die Auflagen für
Feiern verschärft worden.

Bremens Regierungschef Andreas Bovenschulte (SPD) sagte der dpa: «Wir
werden jetzt alles daran setzen, dass die Zahl der Neuinfektionen je
100 000 Einwohner binnen sieben Tagen wieder unter den kritischen
Wert von 50 gedrückt wird.» Die Obergrenze war am Donnerstag in der
Hansestadt gerissen worden. Seitdem gelten schärfere Regeln für
private Feiern, öffentliche Veranstaltungen und auch für das Tragen
von Masken.

In Berlin gelten ab Samstag eine nächtliche Sperrstunde und strengere
Kontaktverbote für drinnen und draußen. Die meisten Geschäfte sowie
alle Restaurants und Bars müssen von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr
schließen. Im Freien dürfen sich von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr nur noch
fünf Personen oder Menschen aus zwei Haushalten versammeln. An
privaten Feiern in geschlossenen Räumen dürfen nur noch maximal 10
statt bisher 25 Personen teilnehmen. Zudem gibt es eine allgemeine
Maskenpflicht in Büro- und Verwaltungsgebäuden.

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) verteidigte die
Bundeshauptstadt vor Kritik: «Wer einen Vorschlag hat, wie man es
besser macht als Berlin, soll ihn nennen», sagte er dem «Spiegel».
Das Bashing einzelner Städte oder Länder helfe nicht weiter. «Es gab

Zeiten, da hatte München die höchsten Infektionsraten. Und da hat
auch niemand gesagt, dass das an der Natur der Münchner liegt.»

Auch die Bundesregierung warnte vor dem Städtegipfel eindringlich vor
einer Verschärfung der Lage. Kanzleramtschef Helge Braun sagte in der
ZDF-Sendung «Maybrit Illner», man müsse erreichen, dass
Corona-Kontakte vollständig nachvollziehbar seien. In einigen
Hotspots gelinge das nicht mehr. Der CDU-Politiker mahnte die
Menschen über den Herbst und Winter, noch einmal Disziplin zu wahren
und sich die Corona-App herunterzuladen. Bundesgesundheitsminister
Jens Spahn (CDU) rief in der Sendung «ARD extra» die Menschen auf zu
überlegen, ob eine geplante Reise oder Feier jetzt sein müsse.

Auch der Chef des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, meldete
sich mahnend zu Wort. «Niemand kann behaupten, dass wir aktuell die
Infektionsausbreitung unter Kontrolle hätten», sagte Montgomery der
«Passauer Neuen Presse» (Freitag). Zwar sei Deutschland von einer
Überforderung des Gesundheitswesens noch weit entfernt, doch «wir
müssen diesen Kontrollverlust eindämmen», mahnte Montgomery.