Erste Region im Südwesten überschreitet kritische 50er-Corona-Marke

Die Corona-Lage in Baden-Württemberg spitzt sich zu. Erstmals
überschreitet nun eine Region einen kritischen Grenzwert. Der Kreis
Esslingen wird zum Hotspot im Südwesten. Aber auch in anderen Ecken
des Landes verschärft sich die Lage.

Stuttgart (dpa/lsw) - Der Landkreis Esslingen hat als erste Region
im Südwesten die Grenze von 50 Corona-Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner innerhalb von sieben Tagen überschritten. Das teilten die
Gesundheitsbehörden am Mittwoch mit. Der Wert liege bei 52,3. Damit
gehen schärfere Maßnahmen zum Infektionsschutz einher.

«Das ist eine besorgniserregende Entwicklung», sagte
Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne). Das Land stehe im engen
Kontakt mit dem Landkreis, auch was die jetzt anstehenden schärferen
Maßnahmen betreffe. Das Infektionsgeschehen dort gehe vor allem auf
Reiserückkehrende, private Feiern und den Ausbruch in einem
Unternehmen zurück. Die Kontaktpersonennachverfolgung sei in vollem
Gange, sagte Lucha. Er appellierte eindringlich an die Bevölkerung,
die Corona-Regeln strengstens einzuhalten. «Wir müssen eine diffuse
Ausbreitung des Virus unbedingt verhindern.»

Die Zahl der nachgewiesenen Coronavirus-Infektionen hat sich in
Baden-Württemberg im Vergleich zum Vortag um 652 Fälle erhöht. Am
Dienstag waren es noch 388 neue Fälle. Insgesamt hätten sich im Land
nun 52 222 Menschen nachweislich mit dem Erreger Sars-CoV-2
angesteckt, teilte das Landesgesundheitsamt mit. Die Zahl der
Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus stieg um 4 auf 1898.

Die Lage spitzt sich seit Tagen gefährlich zu. Mehrere Regionen haben
bei der sogenannten Sieben-Tages-Inzidenz die Vorwarnstufe von mehr
als 35 Corona-Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von
sieben Tagen erreicht - darunter die Landeshauptstadt. Die sogenannte
Sieben-Tages-Inzidenz lag in Stuttgart am Mittwoch bei 38,4 und somit
über der kritischen Marke von 35. Auch Mannheim (37,3) und der
Stadtkreis Heilbronn (35,5) liegen in der Vorwarnstufe. Die
Sieben-Tages-Inzidenz für das ganze Land stieg am Mittwoch auf 20,6.

Rathäuser und Landratsämter sind deshalb zu neuen Einschränkungen
gezwungen. Nach Mühlacker, dem Kreis Esslingen und Mannheim schränkt
auch Stuttgart die Teilnehmerzahlen bei privaten Feiern ein. Dort
sind Feiern in privaten Räumen von Freitag an und für die kommenden
zwei Wochen nur noch erlaubt, wenn weniger als 25 Menschen
zusammenkommen. In der Öffentlichkeit oder in angemieteten Räumen
liegt die Grenze bei 50 Teilnehmern, wie die Stadt am Mittwoch
mitteilte.

Mit der Verschärfung folgen die Kreise und Kommunen der Empfehlung
der Bund-Länder-Kommission von Ende September, die insbesondere der
Verbreitung von Infektionen im Rahmen von Feierlichkeiten im
Familien- und Freundeskreis vorbeugen soll. Bei mehr als 50 Fällen
pro 100 000 Einwohner können in betroffenen Gegenden Ausgangs- und
Kontaktbeschränkungen verschärft werden. Welche konkreten Maßnahmen
Esslingen nun ergreift, blieb am Mittwochabend zunächst offen.

Bereits am Dienstag hatte die baden-württembergische Landesregierung
wegen der steigenden Infektionszahlen die zweite von drei möglichen
Corona-Warnstufen ausgerufen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann
(Grüne) sprach von einer Habt-Acht-Stufe. Die Pandemiestufe zwei
gilt, wenn die landesweite sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz von 10
Fällen je 100 000 Einwohner überschritten wird und zusätzlich das
Infektionsgeschehen diffus ansteigt oder sich die landesweiten
wöchentlichen Fallzahlen innerhalb von zwei Wochen verdoppeln.

Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) nannte die neue
Auflage in der Landeshauptstadt am Mittwoch «zielgerichtet und
angemessen». Es gehe darum, das öffentliche Leben so weit es geht
aufrechtzuerhalten. «Wir wollen einen weitreichenden Lockdown
verhindern. Damit Kinder in die Kita oder in die Schule gehen und
Geschäfte offenbleiben können, schränken wir private Zusammenkünfte

ein, so wie es auch andere Kommunen gemacht haben.»

Nach Angaben des Leiters des Stuttgarter Gesundheitsamts, Stefan
Ehehalt, lassen sich Corona-Ausbrüche in ganz Deutschland vermehrt
auf Feiern und Partys zurückführen. «Überall dort, wo Menschen auf

engem Raum zusammenkommen, laut reden, sich locker austauschen,
verbreiten sich Viren. Wenn wir Infektionen nachverfolgen und Ketten
durchbrechen wollen, müssen wir den Hebel hier ansetzen», sagte er.

Um Infektionen aus anderen gefährdeten Teilen Deutschlands zu
verhindern, soll bundesweit zudem ein Beherbergungsverbot für
Urlauber aus inländischen Gebieten mit hohen Corona-Infektionszahlen
gelten. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur in Berlin am Mittwoch
aus Teilnehmerkreisen nach einer Schaltkonferenz der Chefs der
Staatskanzleien der Länder mit Kanzleramtschef Helge Braun (CDU).

Zentrales Kriterium beim Krisenmanagement ist, ob es in einer Region
mehr als 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen
gibt. Anhand dieser Schwelle stuft die Bundesregierung auch andere
Staaten als «Risikogebiete» für deutsche Urlauber ein. Im Inland
haben Bund und Länder vereinbart, dass ab dieser Marke in «besonders
betroffenen Gebieten» örtliche Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Baden-Württemberg hatte Einreiseverbote und zusätzliche
Quarantäneauflagen für Reisende aus dem Inland zunächst nicht in
Betracht gezogen. Im Südwesten gilt jedoch schon seit längerem ein
Beherbergungsverbot für Besucher aus Stadt- oder Landkreisen mit
erhöhtem Infektionsgeschehen für Hotels, Herbergen, Campingplätze und

andere ähnliche Einrichtungen.

Bundesweit hat die Zahl der Neuinfektionen wieder einen Höchstwert
seit der zweiten Aprilhälfte erreicht. In Fellbach wurden unter
anderem 41 Geflüchtete in einer Unterkunft unter Quarantäne gestellt,
nachdem sich vier Bewohner mit dem Coronavirus angesteckt hatten. In
der Stadt sind außerdem mehrere Schulklassen in Quarantäne.

Auch in Heilbronn steht seit Mittwoch eine Flüchtlingsunterkunft mit
50 Bewohnern unter Quarantäne, nachdem drei Personen positiv auf das
Virus getestet wurden. Oberbürgermeister Harry Mergel (SPD)
appellierte an das Verantwortungsbewusstsein der Bürger. «Die Gefahr,
sich mit dem Virus anzustecken ist keineswegs vorbei. Im Gegenteil,
sie verstärkt sich» teilte er mit. «Sollten die Zahlen weiter
steigen, werden wir mit strikteren Maßnahmen reagieren müssen.» Er
kündigte verstärkte Kontrollen von Ordnungsamt und Polizei an.