Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier holt Nobelpreis nach Berlin Von Gisela Gross, dpa

Der Chemie-Nobelpreis geht auch nach Berlin, wo die französische
Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier tätig ist. Über eine mobile
Forscherin.

Berlin (dpa) - Emmanuelle Charpentier strahlt. Gelöst wirkt die
Französin nach der Bekanntgabe des Chemie-Nobelpreises, als sie in
Berlin vor die Kameras tritt. Die Mikrobiologin posiert neben einer
Büste von Max Planck - schließlich ist sie Direktorin der
Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene in
der Hauptstadt und der Physiker ebenfalls Nobelpreisträger. Auch ein

Maskottchen zeigt sie vor: ein Püppchen mit der Flagge Schwedens.
Dort forschte sie 2012 bei der Veröffentlichung ihrer bahnbrechenden
Arbeit. «Überwältigt» sei sie, sagt Charpentier am Mittwoch in eine
r
Videoschalte, sie werde bombardiert mit E-Mails und Handynachrichten.

Nein, eine Überraschung ist es nicht, dass die Königlich-Schwedische
Akademie der Wissenschaften der Mikrobiologin den Chemie-Nobelpreis
zuerkennt: Charpentier wurde als Mitentwicklerin der Genschere
Crispr/Cas9 schon seit Jahren als Kandidatin gehandelt. Für die
Verhältnisse der Wissenschaftswelt ist um sie und ihre
Mit-Nobelpreisträgerin, die US-Amerikanerin Jennifer A. Doudna, in
den vergangenen Jahren ein echter Hype entstanden. Charpentier bleibt
aber auf dem Boden: «Das wird mich nicht ändern. Ich werde die Person
bleiben, die ich die Jahre über war», sagt sie.

Wenn Charpentier, wie in den vergangenen Jahren mehrfach, öffentliche
Vorträge über ihre Arbeit hielt, war das Interesse groß: Zu erleben
war die heute 51-Jährige mit dem Lockenkopf dabei als konzentrierte,
stets auf die Sache fokussierte Wissenschaftlerin. Dass sie niemanden
mehr für sich einnehmen muss, konnte man ihren nüchternen Auftritten
mit Präsentationen voller komplexer Schaubilder ablesen. Das von ihr
mitentdeckte Verfahren hat Forschern weltweit unglaubliche neue
Möglichkeiten eröffnet.

Im In- und Ausland erhielt die Forscherin in den vergangenen Jahren
zahlreiche Preise. Darunter waren etwa der Leibniz-Preis und der
Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland. 2015 zählte das
«Time»-Magazin sie und Doudna zu den 100 einflussreichsten
Persönlichkeiten. Häufig wurde in der Publikumspresse über die
Geschichte der relativ jungen Frauen in der oft noch von älteren
Männern dominierten Wissenschaft berichtet. Als sie vor Jahren einmal
mit Kittel und Ausrüstung im Labor fotografiert werden sollte, wehrte
sie sich dagegen, weil sie so einfach nicht arbeite.

Charpentier studierte Mikrobiologie, Biochemie und Genetik an der
Pierre-und-Marie-Curie-Universität in Paris. Es folgten mehrere
Forschungsstationen in den USA, in Wien und Schweden. Von 2013 bis
2015 war sie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in
Braunschweig tätig. Dann der Wechsel in die Bundeshauptstadt: Dort
war die Französin zunächst Direktorin am Max-Planck-Institut für
Infektionsbiologie. Seit 2018 ist sie Gründungs- und kommissarische
Direktorin der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der
Pathogene in Berlin - einem unabhängigen Institut, das sie gemeinsam
mit der Max-Planck-Gesellschaft gründete. Zudem ist sie
Honorarprofessorin an der Humboldt-Universität.

Der bewegten Laufbahn entsprechend ziehen sich unausgepackte Kisten
im Büro wie ein Charakterzug durch Artikel, die über Charpentier
geschrieben wurden. Als sie am Mittwoch in einer Videoschalte nach
ihren Zukunftsplänen gefragt wird - bleibt sie in Berlin? - , weicht
die Wissenschaftlerin aus: Das sei eine politisch unkorrekte Frage,
sagt sie und lacht. In ihrer Berliner Anfangszeit hatte sie sich in
einem Zeitungsinterview einmal nicht gerade glücklich angesichts der
Bedingungen geäußert.

«Wir sind sehr stolz darauf, eine so herausragende Forscherin in
Berlin zu haben, unser ganzer Wissenschaftsstandort freut sich mit
und für Prof. Charpentier», erklärte Berlins Regierungschef Michael
Müller (SPD) am Mittwoch und gratulierte. Charpentier und ihrem Team
habe man im Herzen Berlins «die auf ihre Ideen und ihre Forschung
zugeschnittenen Gebäude bereitstellen können».

«Sie ist so erfinderisch, sie könnte sich ein Labor auf einer
einsamen Insel einrichten», wurde Charpentiers Doktorvater Patrice
Courvalin 2016 in einem Porträt zitiert. Dirk Heinz,
Wissenschaftlicher Geschäftsführer am Helmholtz-Zentrum für
Infektionsforschung in Braunschweig, beschrieb sie am Mittwoch als
sehr konzentrierte und fokussierte Forscherin, die extrem hart
arbeite. «Man möchte fast schon sagen: 24 Stunden arbeitet».

Woher sie all die Energie nimmt? Wie Charpentier dem Berliner
«Tagessspiegel» vor zwei Jahren sagte, lasse sie sich ihre vier bis
fünf Stunden Sport pro Woche nicht nehmen: Laufen, Schwimmen,
Radfahren, Funktionstraining und Boxen.