Chemie-Nobelpreis an Genforscherinnen Charpentier und Doudna

Es ist der erste Wissenschafts-Nobelpreis, den sich ausschließlich
Frauen teilen. Eine der beiden Chemie-Preisträgerinnen forscht in
Berlin. Die von beiden entwickelte Genschere hat die
Lebenswissenschaften revolutioniert.

Stockholm/Berlin (dpa) - Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem
Jahr an die in Berlin arbeitende Emmanuelle Charpentier (Frankreich)
sowie an Jennifer A. Doudna (USA) für die Entwicklung einer Genschere
zur gezielten Erbgut-Veränderung. Das Crispr/Cas9-Verfahren habe die
molekularen Lebenswissenschaften revolutioniert, trage zu innovativen
Krebstherapien bei und könne den Traum von der Heilung von
Erbkrankheiten wahr werden lassen, teilte die Königlich-Schwedische
Akademie der Wissenschaften am Mittwoch in Stockholm mit. Es ist
demnach der erste wissenschaftliche Nobelpreis, den sich
ausschließlich Frauen teilen. In Chemie gab es zuvor überhaupt erst
fünf Preisträgerinnen. Barbara McClintock hatte den Medizinpreis 1983
alleine bekommen.

Emmanuelle Charpentier (51), Direktorin der
Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene in
Berlin, und Jennifer Doudna (56) von der Universität in Kalifornien
in Berkeley entwickelten eines der schärfsten Werkzeuge der
Gentechnologie. Ihre Genschere sei eine «unerwartete Entdeckung mit
atemberaubendem Potenzial», schreibt das Komitee.

Auch wenn sein Siegeszug in den Labors weltweit erst 2012 nach der
bahnbrechenden Studie von Charpentier und Doudna begann: Das
Crispr/Cas-System ist ein uralter Mechanismus, der bei einem großen
Teil der Bakterien und Archaeen vorkommt. Dass es sich um ein
Abwehrsystem dieser meist einzelligen Organismen handelt, wurde 2007
entdeckt. Zuvor galten die Crispr-Regionen im Erbgut als nutzloser
DNA-Schrott.

Der französischen Mikrobiologin Charpentier und der US-Biochemikerin
Doudna gelang darauf aufbauend dann der Coup: Sie verwendeten
Crispr/Cas9 gezielt zum sogenannten Genome Editing, also zum
Entfernen, Einfügen und Verändern von DNA. Ihre Studie erschien am
17. August 2012 im Magazin «Science». Kurz darauf stellte der
Bioingenieur Feng Zhang vom Massachusetts Institute of Technology
(MIT) im gleichen Magazin eine Arbeit zur universellen Einsetzbarkeit
der Methode vor.

Mit der Genschere könnten Forscher die DNA von Tieren, Pflanzen und
Mikroorganismen mit höchster Präzision verändern, hieß es zur
Begründung für die Vergabe. Viele Menschen hätten den Preis für die
se
Entwicklung schon erwartet, sagte Pernilla Wittund Stafshede vom
Nobelkomitee. Charpentier sagte in einer ersten Reaktion: «Mir wurde
oft gesagt, dass ich den Preis erhalten könnte, aber als es jetzt
passierte, war ich dennoch überrascht.»

Allerdings betont das Komitee in seiner Begründung auch den möglichen
Missbrauch des Werkzeugs. «Wie jede mächtige Technologie muss auch
diese Genschere reguliert werden.» Für weltweite Empörung sorgte im
November 2018 das Video eines chinesischen Forschers, der die Geburt
zweier Zwillingsmädchen bekanntgab, deren Erbgut er mit Crispr/Cas9
manipuliert hatte.

«Wir brauchen eine verstärkte Debatte und internationale Regularien
zu den potenziellen Risiken von Crispr/Cas9 als Gen-Editing-Technik»,
sagte Charpentier 2018 der Deutschen Presse-Agentur. «Als
Wissenschaftler tragen wir auch eine gewisse Verantwortung: Wir
müssen sicherstellen, dass es für jede potenzielle Therapie am
Menschen angemessene Sicherheits- und Effizienz-Maßnahmen gibt, und
dass jede ethisch fragwürdige Nutzung dieser Technik verboten wird.»

Die renommierteste Auszeichnung für Chemiker ist in diesem Jahr mit
insgesamt zehn Millionen Kronen (rund 950 000 Euro) dotiert - eine
Million Kronen mehr als im Vorjahr. Die feierliche Übergabe der
Preise findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des
Stifters Alfred Nobel.

Seit 1901 wurde der Chemie-Nobelpreis an 185 verschiedene Forscher
vergeben. Einer von ihnen, der Brite Frederick Sanger, erhielt ihn
zweimal. Unter den Preisträgern waren zuvor nur fünf Frauen, etwa
Marie Curie 1911, die die radioaktiven Elemente Polonium und Radium
entdeckte.

Am Montag war der Nobelpreis für Medizin den Virologen Harvey J.
Alter (USA), Michael Houghton (Großbritannien) und Charles M. Rice
(USA) zuerkannt worden. Sie hatten maßgeblich zur Entdeckung des
Hepatitis-C-Virus beigetragen.

Am Dienstag war verkündet worden, dass der deutsche Astrophysiker
Reinhard Genzel den Nobelpreis für Physik erhält. Er hatte zugleich
mit der US-Forscherin Andrea Ghez das supermassereiche Schwarze Loch
im Zentrum unserer Milchstraße entdeckt. Zusammen mit ihnen wird der
Brite Roger Penrose geehrt, der erkannte, dass die Bildung von
Schwarzen Löchern eine Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie
ist.

Am Donnerstag folgt die Bekanntgabe des diesjährigen
Nobelpreisträgers für Literatur und am Freitag desjenigen für
Frieden.

2019 ging der Chemie-Nobelpreis an den US-Amerikaner John Goodenough,
der als Sohn amerikanischer Eltern in Jena geboren wurde, den
gebürtigen Briten Stanley Whittingham und den Japaner Akira Yoshino.
Sie hatten wiederaufladbare Lithium-Ionen-Batterien entwickelt, die
in Produkten wie Mobiltelefonen, Laptops und Elektro-Fahrzeugen
eingesetzt werden. Der 1922 geborene Goodenough war mit damals 97
Jahren der bislang älteste Mensch, dem ein Nobelpreis zuerkannt
wurde.