Kritik in Berlin an Schleswig-Holsteins Corona-Politik

Für mehr als 1,3 Millionen Berliner fällt Schleswig-Holstein in den
Herbferien wegen der Corona-Auflagen als Urlaubsziel praktisch aus.
Schleswig-Holsteins Klassifizierung von vier Berliner Bezirken als
Risikogebiete stößt in der Hauptstadt auf Unverständnis.

Kiel/Berlin (dpa/lno) - Schleswig-Holsteins Einstufung von inzwischen
vier Berliner Bezirken als Corona-Risikogebiete ist in der Hauptstadt
auf Kritik gestoßen. «Es nützt nichts, mit dem Finger aufeinander zu

zeigen. Wir müssen ins Handeln kommen, die Zeit eilt», sagte Berlins
Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) am Montag der Deutschen
Presse-Agentur. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hielt
im «ZDF-Morgenmagazin» Schleswig-Holstein vor, einen Sonderweg zu
gehen, der nicht wirklich bei der Corona-Eindämmung helfen werde.

Wenn jetzt Reisegebiete in Deutschland gesperrt werden, «dann kommen
wir in eine Situation, die schwer zu rechtfertigen ist», sagte
Lauterbach. «Wir müssen die Virusbekämpfung und die Beherrschung der

Pandemie in den Hotspots in den Vorgrund nehmen, nicht wohin die
Leute reisen können.» Die Menschen müssten Urlaub in Deutschland
machen können - «genauso wie wir es empfehlen».

Für Urlauber oder Urlaubs-Rückkehrer hat die Einstufung als
Risikogebiet zur Folge, dass sie sich sofort 14 Tage in Quarantäne
begeben oder zwei negative Corona-Tests vorweisen müssen. Einer der
beiden Tests darf frühestens fünf Tage nach der Einreise in
Schleswig-Holstein gemacht werden. Erst wenn die negativen Ergebnisse
für beide Tests vorliegen, darf die Quarantäne verlassen werden.

De facto bedeuten diese Corona-Regelungen in Schleswig-Holstein, dass
mehr als 1,3 Millionen Berliner aus den vier betroffenen Bezirken in
den Herbstferien praktisch keinen Urlaub in Schleswig-Holstein machen
können. Die Hauptstadt hat insgesamt knapp 3,8 Millionen Einwohner.

Berlin selber weise keine Risikogebiete innerhalb der Stadt oder
Deutschlands aus, hieß es aus der Berliner Gesundheitsverwaltung. Die
Verdichtung innerhalb des Landes Berlins sei so hoch, dass das
Ausweisen von Risikogebieten innerhalb der Stadt keinen Sinn ergebe.
Dagegen weist das Robert Koch-Institut in seinem Corona-Dashboard,
das die Corona-Lage bundesweit in allen Kreisen und kreisfreien
Städten auflistet, sämtliche Berliner Bezirke einzeln aus.

Wegen zu hoher Corona-Infektionszahlen hat Schleswig-Holstein mit
Tempelhof-Schöneberg am Montag den vierten Berliner Bezirk als
Risikogebiet im Inland ausgewiesen. Zudem gelten im Norden die Städte
Hamm und Remscheid (Nordrhein-Westfalen) als Risikogebiete.

Als Grundlage für die Einstufung dient die Inzidenz, also die Zahl
der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in den vergangenen sieben
Tagen. Dieser Wert darf nicht höher als 50 sein.

Lauterbach sagte, «wir werden im Rahmen einer nicht ganz zu
verhindernden zweiten Welle demnächst sehr viele Bereiche haben in
Deutschland, wo wir diesen Wert überschreiten. Das werden zum Teil
Stadtteile sein, zum Teil ganze Städte und ich glaube, dass es dann
sehr unübersichtlich wird, wohin man noch reisen darf ohne
Quarantäneandrohung und wohin nicht. Das lässt sich auch im Großen
und Ganzen schlecht überwachen.» Daher gelte es das
Infektionsgeschehen selbst mehr in den Blick zu nehmen, um die
Infektionsketten zu unterbrechen.

Wie viele Berliner normalerweise in den Herbstferien Urlaub in
Schleswig-Holstein machen, darüber konnte die Tourismus-Agentur
Schleswig-Holstein am Montag keine Angaben machen. Im gesamten Jahr
2018 sei jeder zwanzigste deutsche Gast in Schleswig-Holstein aus
Berlin gekommen, sagte am Montag Manuela Schütze, Sprecherin der
Tourismus-Agentur. 2018 kamen 8,6 Millionen Gäste insgesamt, die Zahl
der Übernachtungen betrug 34,4 Millionen.

«Die aktuelle Corona-Krise fordert ständig neue Lagebewertungen durch
die schleswig-holsteinische Landesregierung», sagte Schütze. «Zum
Schutz aller sind auch die Regelungen für alle Einreisende ob aus
innerdeutschen oder ausländischen Risikogebieten gleich.
Einreisende aus Risikogebieten im Inland sind lediglich von der
Testpflicht ausgenommen.»

In Schleswig-Holstein sind innerhalb eines Tages 24 neue
Corona-Infektionen festgestellt worden. Die Zahl der nachgewiesenen
Fälle seit Beginn der Pandemie im Norden erhöhte sich damit bis
Sonntagabend auf 4938, wie aus den von der Landesregierung im
Internet veröffentlichten Zahlen hervorgeht.

Am Samstag waren 16 Neuinfektionen gezählt worden. Die Zahl der
Menschen, die im Zusammenhang mit dem Virus Sars-CoV-2 in
Schleswig-Holstein gestorben sind, blieb bei 162.

In Krankenhäusern wurden am Sonntag weiter 14 Corona-Patienten
behandelt. Von allen seit Beginn der Pandemie in Schleswig-Holstein
nachweislich mit Sars-CoV-2 Infizierten gelten nach Schätzung des
Robert Koch-Instituts rund 4300 als genesen.