Kalayci-Vorstoß für Alkoholverbot stößt auf Widerstand in Koalition

Wie soll Berlin in der Corona-Pandemie weiter vorgehen? Die Politik
ist sich nicht sicher: Kaum gelten neue Beschränkungen, wird über
weitergehende Schritte diskutiert.

Berlin (dpa/bb) - Im rot-rot-grünen Berliner Senat bahnt sich vor der
nächsten Sitzung am kommenden Dienstag neuer Streit um das Vorgehen
in der Corona-Krise an. Linke-Fraktionschef Carsten Schatz stellte
sich am Sonntag gegen die Forderung von Gesundheitssenatorin Dilek
Kalayci (SPD) nach einem nächtlichen Ausschank- und Verkaufsverbot
für Alkohol und warnte vor immer neuen Beschränkungen.

«Es ist wenig hilfreich und erzeugt nur weitere Verunsicherung in der
Bevölkerung, wenn unmittelbar nach dem Inkrafttreten der intensiv
diskutierten Regeln schon wieder neue Einschränkungen ins Spiel
gebracht werden - noch dazu solche, gegen die sich der Senat gerade
entschieden hat», sagte Schatz der Deutschen Presse-Agentur.
«Vielmehr gilt es dafür zu sorgen, dass die bestehenden Regeln
eingehalten werden.»

Schatz forderte: «Bevor über weitere Einschränkungen beraten wird,
würden wir gerne erst einmal die Studien und Untersuchungen zu
Übertragungsorten, Verläufen und Ausbreitungsgeschehen sehen und
diskutieren, um die epidemiologische Gesamtlage aktuell
einzuschätzen.» Wenn Kalayci dazu seit der Senatssitzung letzten
Dienstag neue Erkenntnisse habe, möge sie diese auf den Tisch legen.
«Danach wäre zu entscheiden, welche Konsequenzen sinnvoll und
angemessen sind.»

Seit Samstag gelten bereits neue Beschränkungen, die der Senat am
vergangenen Dienstag nach teils kontroverser Debatte beschlossen
hatte. Private Feiern im Freien mit mehr als 50 Teilnehmern sind
verboten. In geschlossenen Räumen gilt eine Obergrenze von 25
Teilnehmern. Neu ist auch eine Maskenpflicht in Bürogebäuden.

Angesichts eines rasanten Anstiegs der Infektionszahlen fordert
Kalayci indes rasche weitere Schritte wie ein Ausschank- und
Verkaufsverbot für Alkohol von 23.00 bis 06.00 Uhr in Restaurants,
Bars, Clubs und Spätverkaufsstellen (Spätis). Zudem erneuerte sie
ihre Forderung nach weitergehenden Kontaktbeschränkungen. Nach ihren
Vorstellungen sollten Begegnungsmöglichkeiten auf zwei Haushalte oder
fünf Personen begrenzt werden, um die Corona-Ausbreitung zu bremsen.

Unterschiedliche Beschränkungen des Alkoholverkaufs gibt es schon in
einigen anderen Städten wie München. In Berlin wurde auch immer
wieder darüber diskutiert, weil die Behörden private Feiern und
illegale Partys als Treiber des Infektionsgeschehens sehen. Im Senat
sind aber neben Linken auch Grüne gegen immer neue, allzu
weitreichende Beschränkungen.

«Der Zeitfaktor ist jetzt wichtig», sagte Kalayci der dpa. «Wir haben

schon zu Beginn der Pandemie im Frühjahr gesehen, dass wir in einer
Stadt wie Berlin frühzeitig handeln müssen.» Um Schlimmeres zu
verhindern, sei auch jetzt wieder der Zeitpunkt für rasches Handeln.
«Wir haben nicht die Zeit zu sagen, wir gucken mal. Die Uhr tickt.»

Kritik an Kalaycis Vorstoß kam auch aus der Opposition. Da Polizei
und Ordnungsamt das Einhalten der Hygiene- oder Abstandsregelungen
nicht flächendeckend kontrollierten, helfe auch kein Alkoholverbot,
so der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Florian
Kluckert. Zudem würden so Gastronomen bestraft, die sich
verantwortungsbewusst und rechtskonform verhalten. Kluckert: «Der
Berliner Senat muss endlich die Einhaltung der Regeln durchsetzen.»

Eindämmende Corona-Maßnahmen müssten verhältnismäßig bleiben, m
einte
der AfD-Politiker Herbert Mohr. «Die Pläne der Senatorin sind völlig

übertrieben. Wer soll das durchsetzen?» Sie seien auch
wirtschaftsfeindlich. «So werden Tausende Jobs verloren gehen.»

Zuletzt breitete sich das Coronavirus in Berlin nach offiziellen
Zahlen stark aus. Am Freitag wurde laut Gesundheitsverwaltung mit 339
Neuinfektionen der höchste Zuwachs seit Beginn der Pandemie im
Frühjahr registriert. Am Samstag kamen 203 und am Sonntag 74, wobei
nicht alle Gesundheitsämter sonntags Daten melden. Zwar wurden
im Frühjahr weniger Menschen getestet, der Anstieg könnte daher
zumindest teilweise auf vermehrte Tests zurückzuführen sein. Aber:
Laut Kalayci ist der Anteil positiver Befunde - etwa 2 von 100 -
heute höher als damals.

Die Zahl der Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben
Tagen lag am Sonntag bei 37,8 und damit über der Grenze von 30, ab
der bei Politik und Behörden Alarmglocken klingen. In fünf von zwölf

Bezirken lag der Wert über 40. Spitzenreiter ist
Friedrichshain-Kreuzberg mit 58,9. Der Bezirk löste als Spitzenreiter
Mitte (57,0) ab, es folgt Neukölln (56,7). In den Altersgruppen 20
bis 29 beträgt die sogenannte Inzidenz sogar über 70.

Laut Robert Koch Institut gehören fünf Bezirke bundesweit zu den 10
größten Corona-Hotspots. Das RKI weist neben Städten und Landkreisen

die Berliner Bezirke einzeln aus. Schleswig-Holstein betrachtet
mittlerweile Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln als
Risikogebiete. Für Urlauber aus diesen Bezirken hat das zur Folge,
dass sie sich sofort 14 Tage in Quarantäne begeben oder zwei negative
Corona-Tests innerhalb von fünf Tagen vorweisen müssen. Ähnlich ist
die Regelung in Rheinland-Pfalz, wo Regionen ab 50 Neuinfektionen je
100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen als Risikogebiet gelten.

Bi einer Feier mit Hunderten Gästen in Tempelhof-Schöneberg steckten
sich laut Gesundheitsverwaltung gut 30 Menschen mit dem Coronavirus
an. Die Feier stieg am 21. September und wurde erst jetzt bekannt.