Karriere im Knochenjob - Nobelpreisträgerin: Frauenquote ist unwürdig Interview: Kathrin Löffler, dpa

Wissenschaftler ist ein harter Beruf. Wissenschaftlerin erst recht.
Christiane Nüsslein-Volhard weiß das. Als bisher einzige deutsche
Forscherin erhielt sie den Medizin-Nobelpreis.

Tübingen (dpa) - Exzellente Kollegen, Kämpfe um Fördergelder, Umzüg
e:
In der Spitzenforschung braucht es Ehrgeiz und mitunter
Opferbereitschaft. Eine Frauenquote sei dagegen nicht nötig, findet
die Tübinger Entwicklungsbiologin Christiane Nüsslein-Volhard (77).
Vor 25 Jahren, am 9. Oktober 1995, wurde ihr als erster und bislang
einziger deutscher Forscherin der Medizin-Nobelpreis zuerkannt.   

Frage: Gegen welche Probleme mussten Sie als Frau im
Wissenschaftsbetrieb kämpfen?

Antwort: Ich habe das Meiste persönlich genommen, statt mich als Frau
schlecht behandelt zu fühlen. Wenn man dauernd darüber nachdenkt,
dass man es schlechter hat als die anderen, kommt man auf keinen
grünen Zweig. Wissenschaft ist ein sehr schwieriger Beruf. Die
Anforderungen sind sehr hoch, die Kollegen sehr schlau. Wenn man
selbst nicht so gut ist, muss das nicht daran liegen, dass man eine
Frau ist und diskriminiert wird. Es kann sehr gut daran liegen, dass
der oder die andere besser ist.

Frage: Hat sich das Image von Wissenschaftlerinnen im Lauf der
Jahrzehnte geändert?

Antwort: Ich denke schon. Sogar Feministinnen fanden es damals nicht
gut, dass ich Wissenschaft gemacht und mich Männerregeln angepasst
habe. Macht ausüben, Chefin werden wollen, Chefin sein. Heute wird
dafür geworben, dass Frauen so etwas machen. Aber das ist nichts,
wofür man unter Frauen Lob kriegt. Viele Frauen sagen, dass sie sich
sowas lieber nicht antun. Die Frauenquote ist eigentlich ein
Paradoxon.

Frage: Warum sind Sie gegen die Frauenquote?

Antwort: Ich halte eine Quote für unwürdig. Man möchte nach seinen
professionellen Leistungen beurteilt werden und nicht nach der
Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse. Auch beruht die
Unterrepräsentation von Frauen in bestimmten Berufen nicht auf
Diskriminierung, sondern auf unterschiedlichen Interessen von Männern
und Frauen. Keiner kommt auf die Idee, für bestimmte Berufe eine
Männerquote zu erfinden. Eine Quote birgt zudem die Gefahr, dass
Frauen Jobs kriegen, die sie nicht stemmen, und dass sie im zu
anspruchsvollem Job unglücklich werden.

Frage: Was wäre aus Ihrer Sicht eine bessere Lösung?

Antwort: Ich bin für eine absolut gerechte Behandlung, basierend auf
berufsbezogene Leistungen. Allerdings sollte weiter sehr darauf
geachtet werden, dass es keine Diskriminierung gibt für Frauen, die
es wollen und können. Die Zeiten ändern sich, und wenn mehr Frauen
selbst berufstätige Mütter haben, werden sich auch mehr für eine
Karriere entscheiden. Wenn eine Frau wegen ihrer Familie im Beruf
zurücksteckt, ist das vielleicht schade, aber eine freie
Entscheidung, die man respektieren muss.

Frage: Müssen Harvard und Oxford im Lebenslauf stehen, wenn man
Spitzenwissenschaftler werden möchte?

Antwort: Es muss nicht Harvard sein, aber ein Platz mit einer
intellektuell hervorragenden Umgebung, die einen fördert und fordert.
Man sollte nicht dorthin, wo es bequem ist und man von vornherein die
Beste ist. Neulich kam bei einer Diskussion über Frauen in der
Wissenschaft die Frage auf: Muss man unbedingt nach der Doktorarbeit
das Labor wechseln? Wenn man Kinder und Familie hat, ist so ein Umzug
ja blöd! Die Forschung leidet aber, wenn man nicht umzieht. Man muss
unterschiedliche Stile kennenlernen, um neue Anregungen zu bekommen.

Frage: Woran arbeiten Sie gerade?

Antwort: Ich erforsche, wie Fische zu ihren schönen Farbmustern
kommen und wie diese sich während der Evolution entwickelt haben. Das
ist noch sehr schlecht verstanden und es wird wenig daran geforscht,
weil es eben nichts direkt in der Medizin Anwendbares bringt. Aber es
ist unglaublich kompliziert und interessant.

Frage: Haben Popkultur und Aktualität das Ansehen
von Naturwissenschaften verändert?

Antwort: Das ist möglich. Die Leute interessieren sich ja für
Naturthemen. Wegen des Coronavirus sind alle ganz eifrig dabei und
wissen jetzt ganz viel über Viren, aber sie wissen leider nicht viel
über, sagen wir mal, Bakterien und Fledermäuse. Mit der allgemeinen
Bildung in Biologie hapert es bei uns. Es wird viel geredet über
Umwelt, Insekten und Biodiversität, aber die Leute wissen erstaunlich
schlecht Bescheid.

Frage: Mit welchen Folgen?

Antwort: Politiker kümmern sich darum, was den Menschen hier und
jetzt dienlich ist. Gerade wird Corona-Forschung mit viel Geld
gefördert. Dagegen macht die Grundlagenforschung in der Biologie, wie
ich sie betreibe, nur fünf Prozent der Forschung überhaupt aus. Um
Fördermittel zu bekommen, muss man ständig begründen, was die eigene

Forschung für den Menschen nützt. Aber durch die Erforschung von
interessanten Phänomenen in der Biologie wird man im Ganzen klüger
und lernt die Natur besser zu verstehen. Leben ist das
Faszinierendste, was es gibt, und unendlich komplex. Es ist falsch,
sich nur auf das Anwendbare zu konzentrieren. Die meisten
Erkenntnisse entstammen einer Neugier-getriebenen Forschung, die
zunächst kein konkretes Ziel in einer Anwendung hat. Man sollte nicht
nur auf die medizinische Nützlichkeit schauen.

Zur Person: Christiane Nüsslein-Volhard kam 1942 in Magdeburg zur
Welt. 1995 erhielt die Biochemikerin gemeinsam mit zwei
US-Amerikanern den Medizin-Nobelpreis für ihre Entdeckungen zur
genetischen Steuerung der frühen Embryonalentwicklung. Sie
war Direktorin am Tübinger Max-Planck-Institut für
Entwicklungsbiologie. Ihre 2004 gegründete Stiftung fördert junge
Wissenschaftlerinnen mit Kind. Nüsslein-Volhard veröffentlichte etwa
200 Artikel in Fachjournalen und mehrere Bücher, darunter 2006 ein
Kochbuch und 2017 das Werk «Schönheit der Tiere».