Nobelwoche wird eingeläutet - diesmal mehr Preise an Frauen? Von Steffen Trumpf und Kathrin Löffler, dpa

Die wissenschaftlichen Nobelpreisträger sind mehrheitlich männlich
und oft jenseits der 70. Vor 25 Jahren schaffte es eine deutsche
Biologin, diese Phalanx zu durchbrechen. Doch noch heute gibt es bei
der Vergabe der Nobelpreise an Männer und Frauen eine Unwucht.

Stockholm (dpa) - Als Christiane Nüsslein-Volhard in den 1960er
Jahren in Frankfurt und Tübingen studierte, war es für ihre
Kommilitoninnen eher die Ausnahme, nach der Zeit an der Uni
tatsächlich in den Beruf einzusteigen. Vielmehr ging es im Studium
darum, etwas Interessantes zu lernen und einen Mann zu finden, wie
die Biologin erzählt. Im Anschluss waren Hochzeit, Kinder und Familie
dann häufig wichtiger als die Karriere in der Wissenschaft. «Eine
alleinstehende Frau, die Wissenschaft machen wollte, war eine große
Ausnahme. Die Leute konnten damit nicht fair umgehen», sagt die
bisher einzige deutsche Medizin-Nobelpreisträgerin.

Nüsslein-Volhard wurde 1995 gemeinsam mit den US-Amerikanern Edward
Lewis und Eric Wieschaus für ihre Entdeckungen zur genetischen
Kontrolle der frühen Embryonalentwicklung mit dem renommiertesten
Wissenschaftspreis der Welt geehrt. Dass wie damals eine Frau unter
den Nobelpreisträgern war, ist bis heute eher Ausnahme als Regel: In
den 25 Jahren danach waren es weitaus häufiger Männer als Frauen,
deren Namen Anfang Oktober in Stockholm und Oslo verkündet wurden.

Neben 24 Organisationen wurden bislang 919 unterschiedliche
Wissenschaftler, Schriftsteller und Friedensstifter mit Nobelpreisen
geehrt. Unter ihnen sind zwischen 1901 und 2019 nur 53 Frauen
gewesen, wobei Marie Curie den Preis gleich zweimal erhielt, nämlich
erst 1903 für Physik und acht Jahre später für Chemie.

Besonders bei den wissenschaftlichen Preisen ist das Ungleichgewicht
zwischen Männern und Frauen groß: Während es bislang zumindest 17
Friedens- und 15 Literaturnobelpreisträgerinnen gab, sind es in der
Medizin (12), Chemie (5) und Physik (3) weitaus weniger gewesen.
Unter den Wirtschaftsnobelpreisträgerinnen finden sich sogar nur zwei
ausgezeichnete Frauen.

Auch im vergangenen Jahr blieben die Nobelpreise eine Männerdomäne:
Unter den 15 Geehrten in den Kategorien Medizin, Physik, Chemie,
Literatur, Frieden und Wirtschaftswissenschaften waren mit der
polnischen Schriftstellerin Olga Tokarczuk und der
französischen-amerikanischen Ökonomin Esther Duflo nur zwei Frauen -
wobei Tokarczuk offiziell zu den Preisträgern 2018 gezählt wird, weil
sie nach einem Skandal bei der preisvergebenden Schwedischen Akademie
nachträglich für das Vorjahr ausgezeichnet worden war.

Ein Grund für die geringe Zahl an Frauen liegt auf der Hand: Die
Wissenschaft war jahrzehntelang männerdominiert - und viele der
Preise werden eben für Errungenschaften verliehen, die viele Jahre
zurückliegen. Darauf verweist auch der Exekutivdirektor der
Nobelstiftung, Lars Heikensten. «Wir wissen um die strukturellen
Mängel in der Art und Weise, wie Frauen innerhalb des universitären
Systems behandelt worden sind», sagte Heikensten der Deutschen
Presse-Agentur in Skandinavien. «Der Fakt, dass wir nicht so viele
Frauen als Preisträgerinnen hatten, spiegelt in erster Linie die
Situation in den Wissenschaften vor 30 bis 50 Jahren wider.»

Die Situation habe sich inzwischen drastisch verändert: Heute seien
weitaus mehr Wissenschaftlerinnen aktiv als früher, weshalb er hoffe
und auch davon ausgehe, dass die schon seit einigen Jahren zunehmende
Zahl der Nobelpreisträgerinnen im Laufe der Zeit weiter steigen
werde, so Heikensten. Und in der Tat geht es bergauf, wenn man einen
Blick in die Nobelhistorie wirft: Während zwischen 1901 und 1920 nur
vier Preisträger weiblich waren, waren es zwischen 2001 und 2019
immerhin 24.

Zugleich dürfe man das Problem nicht kleinreden, betont Heikensten.
«Es ist sehr wichtig, hierbei zu tun, was wir können.» Die einzelnen

Vergabe-Institutionen hätten deshalb in den vergangenen Jahren
Schritte ergriffen, um sicherzustellen, dass mehr Frauen für den
Nobelpreis nominiert werden. «Mit dem Preis schaffen wir Vorbilder.
Und je mehr Preisträgerinnen wir haben, desto mehr wird das helfen,
andere Frauen zur Wissenschaft zu ermutigen.»

Um Frauen in der Wissenschaft zu stärken, hat Nüsslein-Volhard unter
anderem eine Stiftung für junge Wissenschaftlerinnen mit Kind
gegründet. «Jede Frau mit einem ehrgeizigen, zeitraubenden und
anstrengenden Beruf muss sich Hilfen holen für Sachen, für die sie
selbst nicht persönlich erforderlich ist: Haushalt, Auto, Garten»,
sagt sie. Zugleich weist sie darauf hin, dass Mädchen meist nicht
dazu erzogen würden, es als selbstverständlich zu betrachten, eines
Tages Chefin sein zu können. Durch viele gute Beispiele sei dies aber
besser geworden.

«Frauen können's ja! Frauen sind keineswegs für die Wissenschaft oder

Politik weniger geeignet», hebt die Nobelpreisträgerin hervor. «Sie
haben nur manchmal andere Bedürfnisse, was sie glücklich macht.»
Viele stellten ihr Privatleben höher als den Beruf und blieben etwa
generell öfter zu Hause, wenn das Kind krank sei. «Es wird ihnen
übelgenommen, wenn sie das nicht tun. Aber wenn ein Mann sagt, ich
darf meine Karriere nicht gefährden, hat jeder dafür Verständnis. Das

sind immer noch große Unterschiede in der Gesellschaft.»