Vom Lernen zur Wartung: Was während des Schlafes im Gehirn passiert Von Alice Lanzke, dpa

Schlaf ist zum Teil immer noch ein Mysterium. Warum ist er so
wichtig, dass wir einen großen Teil unserer Zeit damit verbringen?
US-Forscher haben sich dieser Frage nun genähert.

Austin/Los Angeles/Santa Fe (dpa) - Etwa ein Drittel seines Lebens
verbringt der Mensch mit Schlafen. Dauerhaft zu wenig Nachtruhe trübt
nicht nur die Stimmung, sondern kann auch ernsthafte Folgen für die
Gesundheit haben. Kaum geklärt ist aber bislang, warum wir eigentlich
regelmäßigen Schlaf brauchen. US-amerikanische Forscher sind dem nun
auf den Grund gegangen. Ihr Fazit im Fachblatt «Science Advances»
:
Während Schlaf in der frühen Kindheit wichtig für Lernprozesse im
Hirn ist, steht später dessen Reparatur im Fokus.

Mäuse schlafen fünfmal länger als Elefanten, Babys brauchen mehr
Schlaf als Erwachsene und bei Delfinen und Zugvögeln schläft
abwechselnd immer nur eine Hirnhälfte, während die andere wacht. All
jene Phänomene gehören zu den Mysterien, welche die Wissenschaft
teilweise immer noch vor Rätsel stellen.

Klar ist, dass Schlaf überlebenswichtig ist: Dies belegte spätestens
das Experiment des Schlafforschers Allan Rechtschaffen, der in den
1980er Jahren zeigte, dass Ratten, die dauerhaft vom Ruhen abgehalten
wurden, nach wenigen Wochen starben.

Beim Menschen führt kurzfristiger Schlafentzug zu einer verringerten
Reaktionsgeschwindigkeit und Konzentrationsproblemen, während
chronische Schlafprobleme mit Depressionen, Übergewicht,
Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einem geschwächten Immunsystem in
Verbindung gebracht werden.

Umso wichtiger ist die Frage, welche Funktionen der Schlaf eigentlich
erfüllt. Wissenschaftler der Universitäten von Texas und Kalifornien
sowie des Santa Fe Instituts um die Mathematikerin Junyu Cao haben
daher nun eine statistische Analyse mit den Daten aus mehr als 60
Schlaf-Studien vorgenommen, die sowohl Menschen als auch Säugetiere
umfassten. Sie werteten Daten zur Gesamtschlafdauer, Zeiten in
verschiedenen Schlafphasen sowie zu Gehirn- und Körpergröße aus.

Das Team, bestehend aus Neurologen, Biologen und Statistikern,
entwickelte daraus ein Modell, das erklärt, warum sich die Schlafzeit
über verschiedene Spezies hinweg verringert, je größer das Gehirn
wird. Konkret identifizierten die Forscher einen Punkt, der beim
Menschen im Alter von 2,4 Jahren eintritt und ab dem sich die
Funktion der Nachtruhe fundamental verändert: von Reorganisation zur
Reparatur. Das passt zu den Ergebnissen früherer Studien, die mehrere
wichtige Übergänge in der Gehirnentwicklung bei Kindern zwischen zwei
und drei Jahren belegten.

Bis zu diesem Alter wächst das Hirn rasant. Während des REM-Schlafs,
der von raschen Augenbewegungen (Rapid Eye Movement) und Träumen
gekennzeichnet ist, ist das Gehirn damit beschäftigt, Synapsen zu
bilden und zu stärken. Das sind jene Strukturen, welche die
Nervenzellen miteinander verbinden und kommunizieren lassen. «Babys
sollten während des REM-Schlafs nicht geweckt werden, da in ihren
Hirnen wichtige Arbeit passiert, während sie schlummern», kommentiert
Biologin und Koautorin Gina Poe in einer zur Studie veröffentlichten
Mitteilung.

Nach etwa 2,4 Jahren verändere sich der Hauptzweck des Schlafes
allerdings - und das rapide. Statt Synapsen aufzubauen gehe es ab da
und für den Rest des Lebens hauptsächlich um die Wartung und
Reparatur des Gehirns. Denn tatsächlich sei eine gewisse
neurologische Schädigung des Hirns während der Wachstunden bei
Menschen und Tieren normal. Schlaf helfe, diese Schäden zu reparieren
- wie bei U-Bahnen, die nachts gewartet und repariert würden, um den
Verkehr tagsüber nicht zu behindern, erklärt der theoretische
Physiker und Koautor Geoffrey West.

Jene Wartungsarbeiten passierten hauptsächlich während des
Nicht-REM-Schlafes. Entsprechend nehme dessen Anteil ab einem Alter
von 2,4 Jahren beim Menschen zu, während die Schlafdauer insgesamt
abnehme. So würden Neugeborene etwa 50 Prozent ihres Schlafes in der
REM-Phase verbringen, während dieser Anteil im Alter von zehn Jahren
auf 25 Prozent falle und bei Menschen über 50 Jahren schließlich bei
15 Prozent liege.

«Schlaf ist so wichtig wie Nahrung», fasst Biologin Poe zusammen.
«Und es ist erstaunlich, wie gut der Schlaf den Bedürfnissen unseres
Nervensystems entspricht. Von Quallen über Vögel bis hin zu Walen
schläft jeder. Während wir schlafen, ruht sich unser Gehirn nicht
aus.»