Lindner stellt FDP vor Bundestagswahl neu auf - Wollen mitregieren Von Ruppert Mayr, dpa

Die Zustimmung ist dann doch nicht ganz so erfreulich: Lindners neuer
Generalsekretär Wissing erhält nur knapp 83 Prozent. Ein Zeichen,
dass der Personalwechsel nicht ganz freiwillig vonstatten geht.

Berlin (dpa) - FDP-Chef Christian Lindner hat ein Jahr vor der
Bundestagswahl die Partei neu aufgestellt und den Anspruch der
Liberalen bekräftigt, wieder Regierungsverantwortung im Bund zu
übernehmen. Er wolle, dass nächstes Jahr die Freien Demokraten wieder
zu einer Regierungsbildung im Bund benötigt werden, sagte Lindner am
Samstag in Berlin in seiner Rede auf einem Bundesparteitag unter dem
Motto «Mission Aufbruch».

Dem TV-Sender Phoenix sagte er darüber hinaus: «Mein Parteivorsitz,
um den ich mich im Mai nächsten Jahres wieder bewerben werde, der ist
ganz eng geknüpft an das Ziel, die FDP in die Regierung zu führen.»
Mit dieser Entscheidung wolle er die Ernsthaftigkeit seines Vorhabens
unterstreichen. Im Falle eines Scheiterns werde er der Politik treu
bleiben: «Von mir sehen Sie keine Aktion à la Andrea Nahles. Bei
allem Respekt für diese Lebensentscheidung. Mir macht das großen
Spaß, große Freude in der Politik, auch in der Fraktionsarbeit.»

Die wichtigste Personalie Lindners war die Wahl des
rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministers Volker Wissing zum
Generalsekretär. Die Zustimmung für Wissing von knapp 83 Prozent ist
vor dem Hintergrund zu sehen, dass die bisherige Amtsinhaberin Linda
Teuteberg, die erst im vergangenen Jahr gewählt worden war, nur auf
massiven Druck Lindners vorzeitig zurücktrat. Teuteberg hatte 2019
rund 93 Prozent bekommen. Sie gilt aber als zu zurückhaltend in der
politischen Auseinandersetzung.

Der frühere SPD-Politiker Harald Christ, der erst im März zur FDP
kam, wurde mit knapp 73 Prozent zum neuen Schatzmeister gewählt. Er
folgt Hermann Otto Solms (79) nach. Solms wurde - unter anderem für
seine Verdienste um die FDP-Finanzen - zum Ehrenvorsitzenden der FDP
gewählt. Zudem sind zwei weitere Nachwahlen im Präsidium nötig
geworden, weil Wissing Generalsekretär wurde und Frank Sitta aus
Sachsen-Anhalt ausschied. Nachgewählt wurden Lydia Hüskens aus
Sachsen-Anhalt (86,67 Prozent) und Bettina Stark-Watzinger aus Hessen
(95,16 Prozent). Für Stark-Watzinger rückte dann Florian Toncar mit
88,28 Prozent in den Vorstand nach.

Im kommenden Jahr stehen neben der Bundestagswahl auch sechs
Landtagswahlen an: im März in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz,
im April in Thüringen, im Juni in Sachsen-Anhalt und möglicherweise
zeitgleich mit der Bundestagswahl im Herbst Mecklenburg-Vorpommern
und Berlin (Abgeordnetenhaus).

Lindner bekräftigte den Anspruch seiner Partei, nach der
Bundestagswahl Regierungsverantwortung zu übernehmen. Für
freiheitlich denkende Menschen könnten Rot-Rot-Grün oder Schwarz-Grün

oder Grün-Rot-Rot keine besonders positiven Perspektiven sein. «Wir
spielen, wenn es nach mir geht, auf Sieg.» Der FDP-Chef schloss eine
Koalition mit der Linkspartei aus. Und mit der AfD könne es keine
Zusammenarbeit geben.

Bund, Länder und Gemeinden rief Lindner auf, intelligente Maßnahmen
gegen die Corona-Krise zu entwickeln, um einen zweiten Lockdown im
Herbst zu verhindern. Dazu gehörten etwa die weitere Digitalisierung
im Gesundheitswesen sowie eine Beschleunigung der Forschung für einen
Impfstoff, sagte er. «Es darf am Ende nicht das Virus über die
Freiheit triumphieren.»

«Endlich wieder ein Bundesparteitag», rief Lindner den Delegierten
zu. Er begründete diesen ersten Präsenzkongress einer Bundespartei
seit Beginn der Corona-Krise damit, dass die persönliche Begegnung
unverzichtbar sei und durch ein digitales Treffen nicht ersetzt
werden könne. Mit Umsicht sei ein solcher Parteitag auch machbar.

Wegen der Corona-Pandemie wurden beim Parteitag besondere
Sicherheitsvorkehrungen ergriffen. So wurden den Angaben zufolge
keine Gäste eingeladen. Es kamen nur Delegierte, Medienvertreter und
Mitarbeiter. Von den 662 eingeladenen Delegierten kamen rund 560. Die
abwesenden konnten aber ihr Stimmrecht an anwesende Delegierte
übertragen. Für die fällig gewordenen Nachwahlen zur Parteispitze
wurde in den ordentlichen Parteitag ein außerordentlicher integriert.

Die Pandemie sei noch nicht vorbei, aber Corona scheine inzwischen
beherrschbar, sagte Lindner. Die Krise habe gezeigt, dass die FDP
Recht gehabt habe, wenn sie schon vor der Pandemie mehr
Digitalisierung eingefordert habe. Dies habe sich besonders an den
Schulen gezeigt. Schüler und Eltern seien mit dem Unterricht zu Hause
zum Teil überfordert gewesen. Jetzt zeige sich, dass Deutschland eine
Digitalisierungs- und Betreuungsgarantie für die Familie brauche.

Lindner kritisierte in diesem Zusammenhang den bis Ende des Jahres
geltenden Mehrwertsteuernachlass. Mit den dadurch dem Staat
entgehenden 20 Milliarden Euro hätte man etwa die 35 000 Schulen in
Deutschland mit W-Lan oder die Lehrer mit Laptops ausstatten können.
Und es wäre immer noch Geld übrig geblieben, um an allen 35 000
Schulen die Toiletten zu sanieren. Für die FDP habe ein Bildungspakt
von Bund, Ländern und Gemeinden Toppriorität.

Mit Blick auf die große Koalition sagte Lindner: «Wir wollen im
nächsten Jahr dafür sorgen, dass eine andere Wirtschafts- und
Finanzpolitik gemacht wird.» Er kritisierte dabei insbesondere
Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Die Bundestagswahl werde eine
Richtungswahl: Schulden oder Solidität, Freiheit oder Fesselung des
Landes, soziale Marktwirtschaft oder Planwirtschaft.

Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur sagte Lindner zu
möglichen Koalitionen: «Wir sind gesprächsbereit, wenn die Inhalte
stimmen.» Die FDP regiert zurzeit in einer Ampelkoalition in
Rheinland-Pfalz mit SPD und Grünen, zusammen mit der CDU in NRW und
in einer Jamaika-Koalition mit CDU und Grünen in Schleswig-Holstein.
Die größten Überschneidungen gebe es nach wie vor mit einer CDU, die

von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet geführt werde. «Dagegen wirkt

eine Ampel im Bund aus heutiger Sicht nicht besonders attraktiv.»