Kranich in der Krise - Lufthansa muss noch mehr leiden Von Christian Ebner, dpa

Die komplexen Corona-Reisebeschränkungen behindern den Neustart des
Luftverkehrs. Trotz massiver Staatshilfe muss Lufthansa stärker
schrumpfen als zunächst geplant. An einem Strang ziehen die
Beteiligten deswegen aber noch lange nicht.

Frankfurt/Main (dpa) - In der Corona-Krise müssen die Lufthansa und
ihre Beschäftigten noch mehr leiden. Die bislang geplanten
Einschnitte in Flotte und Belegschaft reichen nicht aus, hat
Vorstandschef Carsten Spohr den noch rund 128 000 Beschäftigten im
Konzern klar gemacht. Zu Beginn kommender Woche sollen konkrete
Informationen auf den Tisch kommen, welche Jets und wie viele Jobs
aus Sicht des Managements zusätzlich gestrichen werden müssen.

Die Corona-Pandemie wird für den schwer getroffenen Luftverkehr
länger andauern als in den meisten anderen Branchen. Mit einer
Rückkehr zu gewohnten Passagierzahlen wird es dem
Welt-Airline-Verband IATA zufolge nicht vor 2024 kommen, zudem
dürften sich zahlungskräftige Geschäftsreisende noch rarer machen als

vor dem globalen Boom von Videokonferenzen.

Aktuell leidet der größte Luftverkehrskonzern Europas unter den
komplexen und sich schnell ändernden Einreisebeschränkungen der
verschiedenen Nationalstaaten. Einzig die Frachtflüge bringen noch
Geld in die Kasse. Der Urlaubssommer hat sich als Strohfeuer
erwiesen, von dem allein die Kurzstrecke profitiert hat, nicht aber
die teure und personalintensive Langstrecke. Nur die massive Hilfe
aus vier Staaten von zusammen neun Milliarden Euro verhindert den
Kollaps des hoch verschuldeten MDax-Konzerns, der nach eigenen
Angaben aktuell jeden Monat 500 Millionen Euro liquide Mittel
verbrennt.

Spohr hat die einst so stolzen Lufthanseaten am Dienstag in einer
Video-Botschaft darauf vorbereitet, dass es nicht bei der Kürzung der
Konzernflotte um 100 von früher gut 760 Flugzeugen bleiben wird. Auf
der Kippe stehen insbesondere die vierstrahligen Übersee-Maschinen,
die schwer auszulasten sind und zudem vergleichsweise viel Kerosin
verbrauchen. Wegen der schlechten Geschäftsentwicklung stehen nun
mindestens 30 weitere Jets und damit nach einer Faustregel auch rund
3000 Crew-Jobs zur Disposition. Diese kämen noch zu den bereits
angekündigten 22 000 Stellen hinzu, die ohnehin wegfallen sollen.

Über den Weg zur neuen, schlankeren Lufthansa sind sich Unternehmen
und Arbeitnehmer sechs Monate nach dem Corona-Einbruch immer noch
bemerkenswert uneinig. Spohr empfiehlt in diesem Zusammenhang
«innovative» Teilzeit-Modelle, schließt aber längst auch Kündigun
gen
nicht mehr aus. Während im Ausland bereits Tausende Beschäftigte die

Lufthansa-Firmen verlassen haben, schwelt im Inland ein zäher Kampf
mit den drei Gewerkschaften im Haus, möglicherweise zugedeckt und
verlängert durch das staatliche Kurzarbeitergeld.

Einzig mit der vormals so widerborstigen Kabinengewerkschaft Ufo hat
Lufthansa bislang Eckpunkte eines langfristigen Sanierungsvertrags
geschlossen. Diese umfassen einen vierjährigen Kündigungsschutz für
das Kabinenpersonal als Gegenleistung für Einsparmaßnahmen von mehr
als einer halben Milliarde Euro bis Ende 2023. Der Vertrag ist bei
deutlich schlechterer Geschäftsentwicklung einseitig kündbar.

Seit der Unterschrift sei der Arbeitgeber abgetaucht, schimpft
Ufo-Geschäftsführer Nicoley Baublies. Statt über Details von
Übergangsregeln oder Abfindungen zu verhandeln, schließe der Konzern
einzelne Flugbetriebe wie die Germanwings und SunExpress Deutschland,
so dass 1500 Flugbegleiter vor der Entlassung stünden. Im restlichen
Konzern gebe es ein großes Misstrauen auch gegen die angebotenen,
aber aus Ufo-Sicht ungenügend erklärten Abfindungsangebote. Konkrete
Schritte seien mit dem Management derzeit nicht zu machen.

Mit Verdi hat Lufthansa die Verhandlungen für das Bodenpersonal
einseitig abgebrochen und bislang nicht wieder aufgenommen.
Verhandlungsführerin Mira Neumaier beobachtet statt konstruktiver
Gespräche und der Vorbereitung eines sozialverträglichen
Personalabbaus in erster Linie «Störaktionen». Dass langjährigen
Lufthansa-Mitarbeitern in der Altersteilzeit gekündigt werde, findet
sie «moralisch unterirdisch». Die Verdi-Fachfrau vermisst zudem
konkrete Ausstiegsprogramme, wie sie beispielsweise beim Frankfurter
Flughafenbetreiber Fraport längst aufgelegt würden. «Die Probleme
werden immer größer und müssten jetzt angegangen werden.»

Die größten Differenzen gibt es aber mit den Piloten.
Deren Gewerkschaft Vereinigung Cockpit ist zwar zu finanziellen
Zugeständnissen bereit, will aber verhindern, dass größere Teile des

bisherigen Lufthansa-Betriebs auf die in Gründung befindliche interne
Plattform «Ocean» übergehen. Diese soll ab dem kommenden Sommer von
München und Frankfurt touristische Ziele anfliegen mit Crews, die auf
dem Niveau der SunExpress bezahlt werden. Die VC warnt vor
langjährigen Anlaufverlusten und will zudem keine Billig-Konkurrenz
im eigenen Haus. Indirekt droht VC-Tarifvorstand Marcel Gröls wieder
mit Streiks, wenn er sagt «Für die Tarifierung werden wir beizeiten
sorgen.»