Neues Schuljahr - erste Zwischenbilanz fällt durchwachsen aus
Rund 11 Millionen Schüler sind zurück in den Klassenzimmern. Das neue
Schuljahr läuft in allen Bundesländern - und bisher insgesamt relativ
reibungslos. Lehrervertreter bleiben aber skeptisch, ob der Plan mit
dem «normalen» Unterricht unter Pandemiebedingungen aufgeht.
Berlin (dpa) - Kurz nach dem Start des neuen Schuljahres in allen
Bundesländern ziehen Lehrerverband und Bildungsgewerkschaften eine
durchwachsene Zwischenbilanz. Dass es unter Corona-Bedingungen bis
jetzt so gut funktioniert habe, liege weniger an «vollmundigen
Hygieneplänen» der Kultusministerkonferenz und der einzelnen
Landesministerien, sondern daran, dass das Infektionsgeschehen in
Deutschland derzeit noch überschaubar sei, sagte der Präsident des
Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, der Deutschen
Presse-Agentur. «Die eigentliche Bewährungsprobe steht uns noch
bevor», sagte er mit Blick auf Herbst und Winter.
«Alle geben sich wirklich Mühe, aber es läuft ein bisschen auf gut
Glück», sagte Ilka Hoffmann, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft
Erziehung und Wissenschaft (GEW). Es gebe viel Verunsicherung.
Schulleitungen beschwerten sich, dass vieles an ihnen hängenbleibe
und der Rückhalt von der Politik fehle. «Es gibt Vorgaben, die zum
Teil - etwa wegen baulicher Gegebenheiten - nicht erfüllt werden
können. Und wenn dann etwas schiefgeht, heißt es da hat wohl jemand
'ne Party gefeiert.»
Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo
Beckmann, äußerte sich ähnlich. «Das neue Schuljahr ist mit große
n
Unsicherheiten gestartet, die bis heute nicht ausgeräumt wurden.»
Positiv bewertet wird vom Lehrerverband, dass in allen Ländern wieder
Präsenzunterricht in ganzen Klassen und Lerngruppen stattfinde und
dass es in einigen Bundesländern gelungen sei, mehr Lehrpersonal in
die Schulen zu bekommen. Fortschritte seien auch erzielt worden bei
Leihgeräten für Schüler und der Frage der Ausstattung von Lehrkräft
en
mit Dienstlaptops. Auch bei der professionellen Betreuung der
IT-Systeme an Schulen zeichneten sich Fortschritte ab.
Kritik äußerte Meidinger allerdings erneut daran, wie verschieden das
Vorgehen in den Bundesländern sei: «Es gibt Länder mit Stufenplänen
und welche ohne, es gibt Länder mit Maskenpflicht und welche ohne, es
gibt Länder, die Lerngruppen voneinander isolieren, und welche, die
dies auf Kohorten von mehreren Hundert Schülern beschränken, es gibt
Länder mit Testreihen für Lehrkräfte und welche ohne.» Das stärke
nicht unbedingt das Vertrauen in die Politik.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat das Schulthema inzwischen zur
Chefsache gemacht. Nach einem ersten Treffen mit einigen
Ländervertretern, Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) und
SPD-Chefin Saskia Esken im August ist am Montag ein weiteres Gespräch
im Kanzleramt geplant. Diesmal sollen die Bildungsminister aller
Bundesländer teilnehmen. Es dürfte vor allem wieder um die technische
Ausstattung und Digitalisierung der Schulen gehen.
«Den Schulbetrieb in Zeiten der Pandemie aufrechtzuerhalten (...) ist
vielleicht eine der schwierigsten politischen Herausforderungen»,
sagte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, am Freitag
in Berlin. Die Bundeskanzlerin habe großen Respekt für jeden, der
sich dieser Aufgabe auf Länderebene stelle, «und sie hat großen Dank
für diejenigen, die das dann konkret in der einzelnen Schule
umsetzen».
Bei der Digitalisierung sei man ein Stück weitergekommen, sagte
GEW-Schulexpertin Hoffmann, «aber da ist noch viel Luft nach oben».
Während der coronabedingten Schulschließungen hatte sich gezeigt,
dass Aufgabenverteilung, Kommunikation und Unterricht über das
Internet nur bedingt funktionierten. Ein 500-Millionen-Euro-Programm
zur Anschaffung von Leihgeräten für bedürftige Schüler wurde
daraufhin von der großen Koalition aufgelegt. Mit weiteren 500
Millionen Euro sollen Lehrer nun mit Dienstlaptops ausgestattet
werden. Wie schnell das umgesetzt wird, ist aber noch offen.
«Die Probleme aus den Schulschließungen haben wir mitgeschleppt»,
sagte Hoffmann. Die Lernrückstände benachteiligter Schüler wieder
auszugleichen, sei zeitlich und personell kaum möglich. «Es gibt
einfach zu viele Baustellen und nicht das eine Problem, das schnell
behoben werden kann», sagte VBE-Chef Beckmann. Durch die Versäumnisse
der Vergangenheit fühle sich der Schulleitungsjob gerade an, wie
Twister zu spielen: «Kann ich dort das Loch in der Wand zuhalten
(Schulbau) und mit dem Fuß noch das Smartboard an die Wand schrauben
(Digitalisierung), fehlt mir aber trotzdem die Lehrkraft, die in der
8a Mathe vertreten kann (Lehrkräftemangel).»
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte, in jedem Fall
sicherzustellen, dass der Unterricht auch bei steigenden
Ansteckungszahlen weitergehen könne. Lauterbach sagte den Zeitungen
der Funke Mediengruppe (Freitag): Er sehe bislang zu wenig Konzepte,
wie der Schulbetrieb aufrechterhalten werden solle, «wenn es
demnächst mehr Infektionen gibt und zugleich die Lüftungskonzepte
wegen der sinkenden Außentemperaturen nicht mehr funktionieren».
Notwendig seien entweder Lüftungsanlagen oder «Unterrichtskonzepte,
um den räumlichen Abstand zwischen den Kindern und Jugendlichen zu
gewährleisten».