Die E-Patientenakte kommt - mit Datenschutz-Warnung Von Sascha Meyer, dpa

Sie soll praktisch sein und für möglichst viele Bürger attraktiv:
eine E-Akte zur eigenen Gesundheit. Ein amtliches Gütesiegel für
Datenschutz bekommt die neue Anwendung aber nicht - im Gegenteil.

Berlin (dpa) - Röntgenbilder, Impfungen, Medikamentenpläne: Wichtige
Daten für den nächsten Arztbesuch sollen Patienten bald auch digital
parat haben - in einer elektronischen Akte. Doch beim Start des
freiwilligen Angebots im neuen Jahr drohen Warnungen vor mangelndem
Datenschutz an Millionen Versicherte. Der oberste Datenschützer
Ulrich Kelber sagte der Deutschen Presse-Agentur, selbstverständlich
könne er keine Gesetze korrigieren. «Ich kann und muss aber
einschreiten, wenn bei Stellen, die meiner Aufsicht unterliegen,
Datenverarbeitungsvorgänge gegen geltende Datenschutzvorschriften
verstoßen.» Das Bundesgesundheitsministerium wies Bedenken zurück.

Konkret plant Kelber Warnungen und Anweisungen an 65 gesetzliche
Krankenkassen mit insgesamt 44,5 Millionen Versicherten, über die er
die Datenschutzaufsicht hat. Dies zielt unter anderem darauf, dass
Kassen vorgegebene «Warntexte» an Versicherte schicken müssen. Der
Bundesdatenschutzbeauftragte hatte Konsequenzen angekündigt, wenn ein
vom Bundestag beschlossenes Datenschutzgesetz für die E-Akten
unverändert bleibt. An diesem Freitag kommt es abschließend in den
Bundesrat, und der Gesundheitsausschuss empfiehlt, es zu billigen.

E-Akten sollen allen Versicherten ab 1. Januar 2021 zur freiwilligen
Nutzung angeboten werden. In der Kritik steht aber schon seit
längerem, dass zum Start eine etwas «abgespeckte» Version bei den
Zugriffsrechten vorgesehen ist. So können Patienten festlegen, welche
Daten überhaupt in die E-Akte sollen und welcher Arzt sie sehen darf.
Genauere Zugriffe je nach Arzt nur für einzelne Dokumente kommen aber
erst Anfang 2022. Das zwinge Nutzer zu einem «Alles oder Nichts»,
hatte Kelber wiederholt moniert - ein Zahnarzt könne alle Befunde
eines Psychiaters sehen. Die Opposition kritisiert das ebenfalls.

Kelber sagte, er plane vor dem 1. Januar 2021 eine Warnung an die ihm
unterstehenden Kassen zu senden, dass eine reine Gesetzes-Umsetzung
«zu einem europarechtswidrigen, defizitären Zugriffsmanagement»
führen würde. «Der nächste Schritt werden Anweisungen sein.» Sie

sollen die Kassen verpflichten, bis zum 31. Dezember 2021 für eine
Ausgestaltung des Zugriffsmanagements zu sorgen, die der europäischen
Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) entspricht. In der Zwischenzeit
sollen sie Versicherten, die ihre digitale Akte freiwillig nutzen
möchten, «einen vorgegebenen Warntext» zukommen lassen müssen.

Das Gesundheitsministerium betonte, die Bundesregierung teile die
Bedenken ausdrücklich nicht. Ressortchef Jens Spahn (CDU) machte am
Mittwoch generell deutlich, zu Beginn werde nicht alles perfekt sein.
Er hob aber «höchste Standards» für Datenschutz und Datensicherheit

hervor. Spahn will nach jahrelangem Gezerre um mehr Funktionen der
elektronischen Gesundheitskarte Tempo bei der Digitalisierung machen.
Linke-Gesundheitsexperte Achim Kessler nannte es ein Armutszeugnis
für Spahn, dass Kelber eine «Notbremse» ziehen müsse. So wie geplan
t,
widerspreche die E-Akte dem Anspruch an Patientensouveränität.

Kelber will auch mit Blick auf die IT-Sicherheit einschreiten -
zunächst per Warnung an die Kassen. Nach dem 1. Januar 2021 will er
sie dann anweisen, bis spätestens 30. April 2021 ein «hoch» sicheres

Verfahren anzubieten, mit dem man sich für eine berechtigte Nutzung
anmelden kann. Die vorgesehenen Authentifizierungsverfahren seien
«aus Datenschutzsicht nicht ausreichend sicher» und entsprächen nicht

den DSGVO-Vorgaben, hatte er im August erläutert.

Kelber betonte, er unterstütze ausdrücklich die Digitalisierung des
Gesundheitswesens. «Sie bietet riesige Chancen für uns alle.» Dies
müsse aber auf Grundlage der DSGVO geschehen. Daher laute seine
Forderung: «Eine sichere elektronische Patientenakte für alle, bei
der man seine Daten voll im Griff hat.» Im aktuellen Fall sehe er,
dass die gesetzlichen Krankenkassen in einer «besonderen Situation»
seien: «Sie sollen die Gesetze umsetzen, setzen sich damit aber in
Widerspruch zum europäischen Recht.» Daher würde er sich ein
festgeschriebenes Recht als Bundesdatenschutzbeauftragter wünschen,
nationale Normen bei vermuteter Europarechtswidrigkeit dem
Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegen zu können.