Merkel und Macron wollen nach Moria-Brand Minderjährige aufnehmen

Nach dem Großbrand im Flüchtlingslager auf Lesbos durften Hunderte
Minderjährige die Insel verlassen. Deutschland und Frankreich wollen
sie zusammen mit anderen Staaten aufnehmen. Für Griechenland steht
unterdessen fest: Die Katastrophe war eine Brandstiftung.

Berlin/Athen (dpa) - Deutschland und Frankreich wollen nach dem
Großbrand im griechischen Flüchtlingslager Moria mehr minderjährige
Migranten aufnehmen - möglichst gemeinsam mit anderen EU-Ländern. Um
die Übernahme habe sie Regierungschef Kyriakos Mitsotakis gebeten,
sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag bei einer
Diskussion mit dem Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei EVP,
Donald Tusk, in Berlin. Eine konkrete Zahl, wie viele Menschen
Deutschland aufnehmen wird, nannte Merkel nicht. Unterdessen hat
Griechenland bis Donnerstag bereits 400 Minderjährige, die ohne
Begleitung ihrer Eltern unterwegs sind, von der Insel Lesbos in die
Hafenstadt Thessaloniki geflogen.

Merkel sagte, sie hoffe, dass sich auch andere EU-Mitgliedsstaaten an
der Aufnahme der minderjährigen Flüchtlinge beteiligen. Sie habe mit
Mitsotakis zudem besprochen, dass man sofort dabei helfe, eine neue
und bessere Unterbringung für die vom Feuer betroffenen Menschen
sicherzustellen. «So kann es nicht bleiben, und Deutschland wird sich
daran beteiligen», sagte die Kanzlerin.

Das Lager Moria war in der Nacht zum Mittwoch bei mehreren
zeitgleichen Bränden fast vollständig zerstört worden. Statt der
vorgesehenen rund 3000 Migranten waren dort mehr als 12 000 Menschen
untergebracht. Die griechische Regierung erteilte einer schnellen
Verlegung weiterer Flüchtlinge eine Absage und stellte gezielte
Brandstiftung als Auslöser fest.

Frankreich wird sich in Abstimmung mit Deutschland an der Umsiedlung
der Minderjährigen aus dem weitgehend abgebrannten Lager beteiligen,
erklärte Präsident Emmanuel Macron. Mitsotakis bedankte sich bei
Frankreich und Deutschland für ihre Bereitschaft, minderjährige
Flüchtlinge aufzunehmen. «Wir werden alles unternehmen, diese Krise
auf menschliche Weise anzugehen», sagte Mitsotakis in Ajaccio auf
Korsika nach einem informellen EU-Südstaaten-Gipfel.

Man müsse der Realität ins Auge schauen, so Mitsotakis. Auf
Griechenland - wie auch auf anderen Staaten des Südens - wirke eine
untragbare Last. Europa müsse jetzt von Solidaritätsbekundungen zu
echter Solidarität übergehen, so der griechische Regierungschef.

«Deutschland, Frankreich - und ich hoffe, dass sich viele andere
Länder, die sich dieser Initiative anschließen können, solidarisch
zeigen werden - wir werden unserer Verantwortung gerecht, indem wir
anbieten, uns um unbegleitete Minderjährige zu kümmern», sagte
Macron. Der Stillstand in Migrationsfragen dauere schon zu lange an,
so Macron.

Tusk sagte in Berlin, in Moria spiele sich eine Tragödie ab, die sich
in den nächsten Wochen noch auswachsen könne. Dabei gelte es auch,
die Corona-Infektionen unter den Flüchtlingen im Auge zu behalten.
Die Vorgänge in dem Lager seien dazu angetan, die Stimmung in Europa
zu beeinflussen und den rechten Parteien wieder in die Hände zu
spielen. Und Moria zeige auch, dass Europa die Probleme der Migration
in den zurückliegenden fünf Jahren keineswegs gelöst habe.

Deutschland hat bereits mehr als 460 unbegleitete Kinder, kranke
Kinder und ihre Angehörigen aus den Flüchtlingslagern von den Inseln
aufgenommen. Weitere Aufnahmen kranker Kinder sind bereits in
Vorbereitung. Die nun zwischen Merkel und Macron zugesagte Aufnahme
unbegleiteter Minderjähriger, die von den griechischen Behörden nun
auf das Festland gebracht wurden, soll nach dpa-Informationen
unabhängig davon stattfinden.

Der stellvertretende Migrationsminister Giorgos Koumoutsakos schloss
zunächst aus, dass auch erwachsene Migranten die Insel verlassen
dürfen. Im Nachrichtensender Skai sagte er: «Wer denkt, er könne zum

Festland und dann nach Deutschland reisen, der soll es vergessen.»

Über die Frage, ob Deutschland notfalls auch im Alleingang und ohne
Beteiligung anderer EU-Staaten mehr Migranten von den griechischen
Inseln aufnehmen könnte, wurde in Berlin seit Mittwoch gestritten.
Die Bundesregierung hatte betont, auf Hilfe vor Ort zu setzen und
sich mit Griechenland und den EU-Partnern abzustimmen. Auch aus der
Union waren aber Stimmen laut geworden, die mehr Aufnahmen forderten
- beispielsweise vom griechischen Festland, um die Lage zu
entspannen. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) forderte,
dass Deutschland vorangehen und 2000 Migranten aufnehmen soll.

«Das Feuer wurde von Menschen gelegt, die Asyl beantragt haben - als
Reaktion auf die wegen des Coronavirus verhängte Quarantäne (in
Moria)», sagte der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas am
Donnerstag. Es handele sich um Menschen, die «ihr Gastland nicht
respektieren». Mit solchen Aktionen jedoch torpedierten diese
Menschen jede Lösung. «Wir sagen es ihnen klipp und klar: Sie werden
nicht wegen des Feuers die Insel verlassen. Das können sie
vergessen.» Gelungen sei den Brandstiftern lediglich, Tausende
Menschen - darunter Familien- obdachlos zu machen, kritisierte
Petsas. Das griechische Fernsehen (ERT) zeigte am Donnerstag erneut
Bilder von Menschen, die am Straßenrand lagen und auf Hilfe warteten.
Einige Menschen übernachteten auf einem Friedhof.

Nach Angaben von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will die
Bundesregierung Soforthilfe auf Lesbos leisten. Dafür könnte
beispielsweise das Technische Hilfswerk auf der Insel eingesetzt
werden, sagte Heil im Sender Phoenix.

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hielt sofortige Hilfe
vor Ort für dringend geboten. «Die Menschen brauchen dringend ein
Dach über dem Kopf», sagte Spahn im Interview mit «Focus Online».
Überlegungen wie der Müllers, 2000 Menschen von Lesbos nach
Deutschland zu holen, erteilte Spahn eine Absage. Er sagte: «Es gibt
einen Konsens in der gesamten Union: «2015 darf sich nicht
wiederholen». Das haben wir oft betont und mehrfach beschlossen.»

Dagegen forderten 25 SPD-Bundestagsabgeordnete in einem Brief an
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), sich für eine Evakuierung
der Lagers Moria einzusetzen. «Machen Sie umgehend den Weg frei, dass
aufnahmebereite Bundesländer und aufnahmebereite Städte und Gemeinden
sofort helfen können», hieß es weiter. Nötig sei auch eine
grundsätzliche Lösung, für die es eine Neuausrichtung der
europäischen Flüchtlingspolitik und des gemeinsamen europäischen
Asylsystems geben müsse.