, Einschätzung Wellcome Trust ) Teilnehmer erkrankt: AstraZeneca stoppt Test von Corona-Impfstoff Von Andrej Sokolow , Verena Schmitt-Roschmann und Silvia Kusidlo

Im Rennen um einen rettenden Impfstoff gegen das Coronavirus gibt es
einen Rückschlag für einen aussichtsreichen Kandidaten. Die Versuche
mit dem Mittel aus Großbritannien wurden gestoppt. Wie geht es nun
weiter?

London/Washington (dpa) - Der Pharmakonzern AstraZeneca hat die
klinische Studie für seinen vielversprechenden Corona-Impfstoff
vorsorglich gestoppt. Bei einem Teilnehmer aus Großbritannien waren
gesundheitliche Probleme aufgetreten. Das sei eine Routinemaßnahme
für solche Fälle, teilte das britisch-schwedische Unternehmen am
Mittwoch mit. «In großen Versuchsreihen treten Erkrankungen zufällig

auf, müssen aber von unabhängiger Seite untersucht werden, um das
gründlich zu überprüfen.»

Das Mittel zählt bisher zu den aussichtsreichen Kandidaten unter den
potenziellen Corona-Impfstoffen. Viele Länder, auch Deutschland,
haben mit dem Konzern Verträge über insgesamt Milliarden Dosen
abgeschlossen. Während des Stopps sollen nun vorerst keine weiteren
Probanden geimpft und bisher geimpfte Personen weiter beobachtet
werden. AstraZeneca werde die Untersuchung des Falls beschleunigen,
damit sich das Zulassungsverfahren für den Impfstoff so wenig wie
möglich verzögere, hieß es vom Unternehmen.

Ein solcher vorläufiger Studienstopp sei «nicht ungewöhnlich», sagt
e
der US-Immunologe Anthony Fauci, der auch als Berater der
US-Regierung tätig ist, dem TV-Sender CBS. «Das ist eines dieser
Sicherheitsventile, die man bei klinischen Studien wie dieser hat.»
Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie an der
Philipps-Universität Marburg, lobte, das transparente Vorgehen sei
ein Zeichen der funktionierenden Qualitätskontrolle.

Bei der Überprüfung des Falls geht es nun darum festzustellen, ob die
gesundheitlichen Probleme des Studienteilnehmers vom Impfstoff
ausgelöst wurden. AstraZeneca machte keine Angaben zu der Erkrankung.
Die «New York Times» berichtete unter Berufung auf eine informierte
Person, dass es sich um eine Transverse Myelitis handele. Diese sehr
seltene Erkrankung entwickelt sich häufig in Zusammenhang mit
Infektionen. Der AstraZeneca-Wirkstoff AZD1222 beruht auf der
abgeschwächten Version eines Erkältungsvirus von Schimpansen.

Ein möglicher Auslöser einer solchen Myelitis seien vermutlich
Kreuzreaktionen von Virusantigenen mit körpereigenen Strukturen - zum
Beispiel bei einer Gelbfieberimpfung, erklärte der Infektiologe Bernd
Salzberger vom Universitätsklinikum Regensburg. «Insofern werden
solche Signale bei Impfstudien sicher sehr ernst genommen und müssen
aufgeklärt werden. Im besten Fall hatte der Proband eine parallele
Virusinfektion, die das Krankheitsbild verursacht hat und nicht die
Impfung.» Symptome seien je nach Befall im Rückenmark meist akute
Lähmungserscheinungen oder Gefühlsstörungen. Auch wenn sich eine
Myelitis in vielen Fällen zurückbilde, sei sie ein sehr
ernstzunehmendes Syndrom.

Der AstraZeneca-Impfstoff befindet sich unter anderem in den USA und
Brasilien in der dritten, abschließenden Studien-Phase mit mehreren
Zehntausend Teilnehmern. Das Mittel wirkt zweifach: Es soll sowohl
die Bildung von spezifischen Antikörpern als auch von T-Zellen
fördern - beide sind für die Immunabwehr wichtig.

International gibt es ein beispielloses Rennen von Pharmaunternehmen
um marktreife Corona-Impfstoffe, viele Kandidaten befinden sich
bereits in klinischen Prüfungen. Der Direktor der britischen Stiftung
Wellcome Trust, Jeremy Farrar, warnte vor zu großen Hoffnungen: «Die
ersten Impfstoffe werden nicht perfekt sein - und sie sollten
zunächst nur jenen 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung angeboten
werden, die am meisten gefährdet sind, inklusive Mitarbeitern im
Gesundheitsbereich.» Die Stiftung fördert die medizinische Forschung.

AstraZeneca und acht weitere Pharma- und Biotech-Unternehmen hatten
erst am Dienstag versichert, dass sie bei der Entwicklung eines
Corona-Impfstoffs keine Kompromisse bei der Sicherheit machen werden.
Dieser ungewöhnliche Schritt folgte mit Blick auf Bedenken, dass es
vor allem in den USA politischen Druck zwecks einer Eil-Zulassung
erster Impfstoffe vor der Präsidentenwahl am 3. November geben
könnte. US-Präsident Donald Trump erklärte zuletzt immer wieder, dass

es vielleicht schon bis zur Wahl einen Impfstoff geben werde.

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides stellte am Mittwoch klar,
dass Sicherheit und Wirksamkeit der Impfstoffe oberstes Gebot seien.
Impfstoff-Kandidaten müssten die Anforderungen der europäischen
Zulassungsbehörde EMA erfüllen. «Es ist klar, dass ein Impfstoff
nicht in der EU zugelassen wird, wenn ernste Nebenwirkungen entdeckt
werden», sagte Kyriakides. «Die Sicherheit der Bürger hat höchste
Priorität.»

Viele Länder und auch die EU-Kommission versuchen schon jetzt,
Impfstoffe für sich zu sichern. So vereinbarte die Kommission gerade
mit der Mainzer Firma Biontech die mögliche Lieferung von bis zu 300
Millionen Einheiten. Im Idealfall sollen noch vor Jahresende die
ersten Impfstoff-Dosen in Europa verfügbar sein, wie das Unternehmen
mitteilte. Voraussetzung ist der erfolgreiche Abschluss von Tests und
die Zulassung des Impfstoffs, die der Hersteller bereits im Oktober
beantragen will.

Die EU-Kommission verfolgt die Strategie, mit möglichst vielen
Pharmafirmen Vorverträge abzuschließen, um bei einem erfolgreichen
Impfstoff rasch Zugriff zu haben. Die Brüsseler Behörde hat schon mit
sechs Herstellern entsprechende Gespräche geführt. Mit dem
Biontech-Konkurrenten AstraZeneca gibt es bereits einen Vertrag über
die Lieferung von bis zu 400 Millionen Impfstoff-Dosen.