Frauenhäuser verzeichnen mehr Anfragen - kaum freie Plätze

Mit dem Auslaufen der Corona-Einschränkungen wagen wieder mehr
Frauen, aus unerträglichen Beziehungen auszubrechen. Die Frauenhäuser
im Südwesten sind als sicherer Hafen überdurchschnittlich gefragt.

Stuttgart (dpa/lsw) - Die Frauenhäuser im Südwesten erhalten seit
Ende Juli deutlich mehr Hilferufe schutzsuchender Frauen. «Mit Beginn
der Sommerferien bekommen wir im Verbund der Frauenhäuser drei bis
vier Anfragen am Tag, üblich ist durchschnittlich eine», sagte
Heidi Graf-Knoblauch vom Stuttgarter Autonomen Frauenhaus. Derzeit
sind kaum freie Plätze in Baden-Württemberg gemeldet. Das Frauenhaus
in Stuttgart etwa ist voll belegt.

Schon vor der Corona-Krise seien freie Plätze in den 42 Fauen- und
Kinderschutzhäusern im Land Mangelware gewesen. Ein sofortiger Schutz
in einer akuten Krise kann oftmals nur durch die Suche in einem
anderen Bundesland ermöglicht werden - was einen enormen Aufwand für
die gepeinigte Frau bedeutet.

«Wir gehen davon aus, dass sich durch die räumliche Nähe in der
Corona-Krise bereits vorhandene Spannungen verschärft haben»,
erläuterte Graf-Knoblauch. Zugleich hätten die Frauen während des
Höhepunktes der Pandemie-Einschränkungen kaum Möglichkeiten gehabt,
aus gewaltgeprägten Beziehungen auszubrechen. «Sie standen ja ständig

unter Beobachtung.»

Das Sozialministerium teilt nach eigenen Angaben die Einschätzung der
Expertin. Bundesweit rechneten die Fachleute nun damit, dass mit den
weiteren Lockerungen der Kontaktbeschränkungen sich auch die Opfer
von häuslicher Gewalt jetzt wieder verstärkt an die bestehenden
Hilfeeinrichtungen wenden. Frauen hätten zu Beginn der
Corona-Pandemie aus Sorge vor Ansteckungen die Häuser verlassen und
seien teilweise wieder in das häusliche Umfeld zurückgekehrt. Damit
die Frauenhäuser Infektionsschutz oder Quarantäne bedarfsgerecht
sicherstellen können, hat das Land Mitte Mai 2020 eine Nothilfe von
bis zu 275 000 Euro für die Anmietung von Ausweichquartieren bereit
gestellt.

Das Innenministerium stellte keinen Anstieg der Fallzahlen fest. Vor
dem Hintergrund der Ausgangsbeschränkungen wegen der Pandemie habe
das Landeskriminalamt eine umfassende Sonderauswertung zur
Entwicklung der häuslichen Gewalt vorgenommen. Dabei hätten sich
keine relevanten Veränderungen ergeben.

Nach Angaben des Opferhilfevereins Weißer Ring sind überwiegend
Frauen von häuslicher Gewalt betroffen. Im Jahr 2019
erfasste die polizeilichen Kriminalstatistik im Südwesten 13 084
Taten in Ehen, Partnerschaften oder nach Beendigung derselben
(Vorjahr: 12 109). 483 Mal war ein Messer im Spiel, 25 Mal eine
Schusswaffe, von der sieben Mal Gebrauch gemacht wurde.

Ein schlechtes Zeugnis stellte kürzlich die Landtags-FDP der
Landesregierung im Kampf gegen häusliche Gewalt aus. Die Gewalt von
Partnern oder Ex-Partnern gegen Frauen nehme zu - doch die
Landesregierung hinke beim Hilfsangebot hoffnungslos hinterher. Seit
2011 mit 10 872 Fällen habe häusliche Gewalt um rund 20 Prozent
zugenommen, aber die Kapazität in den Frauen- und Kinderschutzhäusern
habe sich seitdem nicht verändert, monierte Nico Weinmann, Vizechef
der FDP-Fraktion.

Die Frauen- und Kinderschutzhäuser werden von den Kommunen, vom Land
auf freiwilliger Basis und mit Spenden und Bußgeldern finanziert.
Das Sozialministerium geht derzeit von rund 630 fehlenden Plätzen
aus. Vorhanden sind aktuell etwa 340 Plätze für Frauen und mehr als
400 Plätze für Kinder. Die Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer
Frauenhäuser sieht weit mehr Bedarf und hält den vom Ministerium
genannten Wert von über 600 benötigten Plätzen für einen «absolut
en
Mindeststandard», der möglichst schnell umzusetzen sei. Nach der von
Deutschland unterschriebenen Istanbul-Konvention bräuchte
Baden-Württemberg sogar 2800 Plätze für Frauen und Kinder.