Bundesregierung erhöht Druck auf Russland - Nord-Stream-Zukunft offen

Hat die Vergiftung des russischen Oppositionellen Nawalny Folgen für
die umstrittene Pipeline Nord Stream 2? Die Kanzlerin schließt das
zumindest nicht aus. Doch zunächst wartet die Bundesregierung auf
eine Erklärung aus Moskau.

Berlin (dpa) - Nach der Vergiftung des russischen Regierungskritikers
Alexej Nawalny lässt die Bundesregierung die Zukunft des Gasprojekts
Nord Stream 2 weiter offen und erhöht den Druck auf Russland. Noch
sei es zwar zu früh, zu entscheiden, ob der Fall Konsequenzen für den
Bau der Ostseepipeline haben werde, sagte Regierungssprecher Steffen
Seibert am Montag. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) halte es aber auch
für falsch, etwas auszuschließen. Sie schließe sich vielmehr den
warnenden Worten von Außenminister Heiko Maas (SPD) vom Wochenende
an. Maas hatte in einem Interview gesagt: «Ich hoffe nicht, dass die
Russen uns zwingen, unsere Haltung zu Nord Stream 2 zu ändern.» Er
halte es für falsch, Auswirkungen auf die Pipeline von vornherein
auszuschließen.

Die Pipeline Nord Stream 2 wird durch die Ostsee gebaut, ist fast
fertig und soll Erdgas von Russland nach Deutschland transportieren.
Diskutiert wird, ob man das Projekt als Reaktion auf die Vergiftung
Nawalnys stoppen oder aussetzen sollte. Damit könnte auch
wirtschaftlich der Druck auf Moskau erhöht werden, den Fall
aufzuklären.

Die Bundesregierung betrachtet es nach Untersuchungen in einem
Speziallabor der Bundeswehr als zweifelsfrei belegt, dass Nawalny mit
einem Nervengift der Nowitschok-Gruppe vergiftet wurde. Der
Oppositionspolitiker wird derzeit in Deutschland behandelt. Moskau
bestreitet eine Verwicklung in den Fall.

Bislang hat die Bundesregierung Russland zwar mit harten Worten zur
Aufklärung aufgefordert, eine Verknüpfung mit dem
europäisch-russischen Gasprojekt aber vermieden. Seibert betonte, es
gebe die klare Erwartung, dass Russland schwerwiegende Fragen
zum Fall Nawalny beantworte. Damit sei jedoch nicht innerhalb weniger
Tage zu rechnen.

Der Kreml rechnet derzeit nicht mit einem Baustopp für die
Ostsee-Gasleitung. Auf die Frage, ob er Risiken sehe, dass der Bau
nicht beendet werde, antwortete Kremlsprecher Dmitri Peskow
in Moskau: «Nein.» Moskau hatte in der Vergangenheit stets betont,
dass die Gasfernleitung von Russland nach Deutschland ein
wirtschaftliches Projekt sei und kein politisches. Die Arbeiten an
der Pipeline waren zuletzt auf den letzten Metern wegen US-Sanktionen
eingestellt worden.

Auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verknüpfte die Zukunft der
Ostseepipeline mit dem Fall Nawalny. Aus seiner Sicht habe Maas das
richtig ausgedrückt: «Es hat Russland vor allem in der Hand, ob und
wie es mit Nord Stream 2 weitergehen kann», sagte Spahn im
Politik-Talk «Die richtigen Fragen» auf «Bild live». «Es gibt kei
ne
wirtschaftliche Frage, die am Ende wichtiger sein kann als außen- und
sicherheitspolitische Interessen Deutschlands und Europas.»

Grünen-Chefin Annalena Baerbock würde für einen Abbruch des
Pipeline-Projekts auch Entschädigungszahlungen in Kauf nehmen.
Angesprochen auf etwaige Ansprüche der beteiligten Firmen sagte sie
im ZDF-«Morgenmagazin»: «Ja, das wäre ein hoher Betrag. Ja, der
müsste dann auch im Zweifel gezahlt werden.» Welche
Schadenersatzansprüche sich aus einem möglichen Verbot der
Fertigstellung ergeben würden, müsse im Falle eines Falles vor
Gericht geklärt werden, hatte der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der
Deutschen Wirtschaft, Oliver Hermes, gesagt.

Linksparteichef Bernd Riexinger sprach sich gegen einen Baustopp aus.
«Wir sollten nicht vorschnelle Schlüsse ziehen und vorschnelle
falsche Schritte tun, die uns selbst wirtschaftlich schaden», sagte
er. Wirtschaftssanktionen träfen immer die Bevölkerung. «Es gibt
wenige Beispiele, dass solche Sanktionen geglückt sind.»