Deutsche Wirtschaft schlägt wegen Reisebeschränkungen Alarm Von Andreas Hoenig und Friederike Marx, dpa

Reisewarnungen und Quarantänevorschriften in der Corona-Pandemie
machen der Wirtschaft das Leben schwer. Das gilt nicht nur für den
Tourismus.

Berlin (dpa) - Monteure können nicht zu Kunden im Ausland reisen,
Fachmessen fallen aus: Reisebeschränkungen und Vorschriften-Wirrwarr
innerhalb der Europäischen Union belasten nicht nur die
Tourismusindustrie. Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft haben
die Bundesregierung zu einem Kurswechsel bei den coronabedingten
Beschränkungen von Auslandsreisen aufgefordert und eine bessere
Koordination der EU-Mitgliedstaaten angemahnt.

Die verlängerten und ausgeweiteten Einschränkungen und ihre mangelnde
Koordination zwischen EU-Staaten hätten vielfältige negative
wirtschaftliche Auswirkungen, die weit über den Tourismus
hinausgingen, heißt es in einem gemeinsamen Papier von Verbände.
Konkret stammt es vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag, der
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, dem
Bundesverband der Deutschen Industrie sowie dem Hotel- und
Gaststättenverband Dehoga, dem Deutschen Reiseverband, dem
Handelsverband HDE und dem Handwerksverband ZDH.

Das Papier liegt der Deutschen Presse-Agentur vor. «Zu häufige und
kurzfristige Veränderungen der Regeln bei Teststrategie,
Quarantänevorgaben und Reisewarnungen schaffen Verunsicherungen und
erhöhten wirtschaftliche Risiken.»

Der weltweite Handel und Warenaustausch sowie die
Investitionstätigkeit seien empfindlich getroffen, warnen die
Verbände aus Industrie, Handel, Handwerk, Gastgewerbe und
Reisebranche. So könnten beispielsweise technische Spezialisten nicht
reisen, um Maschinen zu installieren oder zu reparieren - mit Folgen
für die Lieferkette. Außerdem fielen internationale Fachmessen aus.
Dadurch fehlten neue Aufträge.

Die Bundesregierung hatte vor kurzem die Reisewarnung für Touristen
wegen der Corona-Pandemie für mehr als 160 Länder außerhalb der
Europäischen Union bis zum 14. September verlängert. Am Mittwoch
könnte das Kabinett sich damit befassen, wie es danach weitergeht.

In der Erklärung der Verbände heißt es, die Wirtschaft sei sich
bewusst, dass Reisebeschränkungen ein Instrument der Politik zur
Eindämmung der Pandemie seien. «Reisebeschränkungen bergen jedoch die

Gefahr, dass sie wirtschaftliche Aktivitäten wie Handel und
Investitionen in große Mitleidenschaft ziehen.»

Die Verbände fordern, dass künftig bei der Einordnung von Staaten und
der Entscheidung über Reisewarnungen durch das Auswärtige Amt eine
wirtschaftliche Folgenabschätzung Bestandteil der Erwägungen ist.
Künftig solle das Wirtschaftsministerium bei der Vorbereitung von
Reisebeschränkungen durchgängig beteiligt werden. Bei den weltweiten
Reisebeschränkungen müssten die sehr unterschiedlichen Situationen in
verschiedenen Ländern berücksichtigt werden.

Weiter heißt es, negative Folgen träfen viele Unternehmen in einer
wirtschaftlich sehr fragilen Phase. «Im Unterschied zum Beginn der
Pandemie sind die Liquiditäts- und Kapitalreserven mittlerweile
vielfach aufgezehrt.» Viele Unternehmen seien von einer Insolvenz
bedroht.

Wichtig sei die Suche nach Lösungen, die Gesundheitsschutz und
wirtschaftliche Aktivitäten zugleich förderten. «So setzen viele
Unternehmen ihre Hoffnungen auf Schnelltests, die Reisebeschränkungen
und Quarantänezeit zumindest reduzieren könnten.» Um das Risiko für

Urlauber und Geschäftsreisende sowie für die Allgemeinheit zu
minimieren, sollten für Reiserückkehrer aus Risikogebieten
ausreichend Testkapazitäten zur Verfügung gestellt werden.»

Zugleich macht den Unternehmen das Durcheinander bei coronabedingten
Reisebeschränkungen innerhalb der Europäischen Union zu schaffen. Die
EU-Kommission hatte im Kampf dagegen jüngst Vorschläge vorgelegt. Das
Konzept der Brüsseler Behörde sieht vor, sich schnellstmöglich auf
gemeinsame Kriterien und Schwellenwerte für die Einführung von
Reisebeschränkungen zu verständigen. Zudem schlägt sie die Erstellung

einer EU-Risikogebietskarte und einheitliche Regeln für Reisen in
Risikogebiete vor. Bislang gibt es beispielsweise für Reiserückkehrer
sehr unterschiedliche Test- und Quarantänepflichten.

Ob - und wenn ja - wann die Vorschläge umgesetzt werden, ist jetzt
Sache der Mitgliedsstaaten. Bislang entscheidet jedes Land selbst
nach eigenen Kriterien, welche anderen EU-Länder oder -Regionen es
als Risikogebiet einstuft. So warnt die Bundesregierung zum Beispiel
vor Reisen nach Spanien oder in bestimmte Gebiete Frankreichs. Die
Finnen führten jüngst für Deutschland, Dänemark und einige weitere

europäische Länder wieder Reisebeschränkungen ein.

Die EU ist die wichtigste Absatzregion für Waren «Made in Germany».
Frankreich etwa lag im vergangenen Jahr auf Platz zwei der
bedeutendsten Abnehmerländer für deutsche Exporte und damit noch vor
China.