Vom Massentourismus zur großen Leere - Bali muss umdenken Von Carola Frentzen und Anton Muhajir, dpa

Als «Insel der Götter» ist Bali bei Surfern, Badegästen und Yogis a
us
aller Welt bekannt. Wegen Corona liegt die Reisebranche seit Monaten
am Boden. Für die vom Massentourismus gebeutelte Insel ist das ein
Segen, für die Bevölkerung nicht. Nun hat ein Umdenken eingesetzt.

Denpasar (dpa) - Kuta Beach ist kaum wiederzuerkennen. Wo sich auf
Bali sonst Sonnenanbeter aus aller Welt tummeln, Masseusen ihre
Dienste anbieten und Bauchladenverkäufer Sarongs und eiskaltes
Bintang-Bier anpreisen, herrscht seit März Flaute. Auch die berühmten
Sonnenuntergänge über dem Indischen Ozean finden ohne Publikum statt.
Keine Ausflugsfahrten zu den Reisterrassen von Tegallalang, kein
«Tempel-Hopping» zu den Anlagen von Tanah Lot, Uluwatu und Besakih,
keine Yoga-Retreats in Ubud - die für die indonesische Insel so
wichtige Tourismusbranche liegt wegen des Coronavirus am Boden.

Dabei hängt mehr als die Hälfte von Balis Wirtschaft davon ab, und
die meisten Balinesen arbeiten entweder direkt oder indirekt im
Reisesektor. Kein Wunder: Laut örtlichem Statistikamt besuchten
vergangenes Jahr mehr als sechs Millionen internationale Gäste die
«Insel der Götter», die nur rund 5700 Quadratkilometer groß ist - d
as
ist in etwa das Anderthalbfache von Mallorca.

Der Vize-Gouverneur Cok Ace rechnete schon im Frühsommer vor, dass
Bali durch die Pandemie jeden Monat 9,7 Billionen indonesische Rupien
verliert - mehr als 550 Millionen Euro. Eine enorme Zahl für ein so
kleines Eiland. Juni, Juli und August gelten normalerweise als
Hochsaison für Sonnen-, Kultur- und Partyhungrige aus Australien,
China oder Europa. Im direkten Vergleich: Wurden im Juni 2019 noch
600 000 ausländische Gäste gezählt, so waren es in diesem Juni 32.

Bali ist an Krisen gewöhnt. 2002 und 2005 wurde die Insel von
Terroristen attackiert, auch Hunderte Feriengäste waren unter den
Opfern. Gerade hatte sich der Tourismussektor wieder einigermaßen
berappelt, da schlug 2007 die Vogelgrippe zu - aber auch das
H5N1-Virus konnte die Insel nicht in die Knie zwingen. Ende 2017
warnten Vulkanologen vor einem großen Ausbruch des Gunung Agung,
viele sagten ihre geplanten Reisen aus Angst vor dem Feuerberg ab.
Die Katastrophe blieb aus, und die Touristen kamen zurück. Mit dem
Coronavirus hat jetzt aber ein Gegner zugeschlagen, der die Branche
seit Monaten im Würgegriff hat. Kann sie sich noch einmal erholen?

Als Ende Juli erstmals wieder einheimische Touristen von den
Nachbarinseln anreisen durften, wurden diese am Flughafen in Denpasar
mit großem Tamtam und Blumengirlanden empfangen. Die Erleichterung
war so groß, dass ein örtlicher Minister den Tag gar als «historisch
»
bezeichnete. Die Zahlen aber sprechen eine andere Sprache: «Die
Öffnung für den lokalen Tourismus hatte keine bedeutenden
Auswirkungen auf die Hotelbelegungen», zitierte das Nachrichtenportal
«Kompas» zuletzt den Sprecher der Hotelvereinigung IHGMA, Made Ramia
Adnyana. Am Wochenende 22.-23. August etwa hätten gerade einmal 4900
Touristen von anderen Inseln Bali besucht. Ein Klacks, wenn man
bedenkt, dass 130 000 Hotelzimmer bereit stehen.

Und es folgte eine weitere kalte Dusche: Pläne, Bali ab dem 11.
September auch für ausländische Urlauber wieder zu öffnen, mussten im

August verworfen werden. Bis mindestens Anfang 2021. Vorsicht ist
besser als Nachsicht: «Bei der Wiederbelebung des Tourismus darf Bali
nicht scheitern, weil dies das Image Indonesiens in der Welt
schädigen könnte», warnte Bali-Gouverneur Wayan Koster.

Gleichzeitig werden Forderungen lauter, Bali müsse unabhängiger vom
Tourismus werden. Das wäre auch eine Chance für einen nachhaltigeren
Neubeginn. Denn der Boom hatte auch eine Kehrseite: Massentourismus
und Müll, Kommerz und Komasaufen - abgesehen von ein paar idyllischen
Orten abseits des Touristentrails war Bali längst nicht mehr das
beschauliche Hippie- und Surferparadies aus den 1970er Jahren.

«Für Bali ist die Reisesperre auch ein Segen, es ist endlich einmal
ruhig, nirgends herrscht Verkehrschaos. Das ist schon etwas
Besonderes», sagt Alejandro Fernandez-Cruz. Der Spanier lebt seit
drei Jahren mit seiner Familie in Ubud. In all der Zeit habe er Bali
immer nur vollgepackt mit Touristen erlebt. Jetzt hingegen rückten
die Expats und die Einheimischen enger zusammen, erzählt der
51-Jährige. «Natürlich ist es auch traurig, dass so viele Restaurants

und Geschäfte geschlossen sind - aber die Balinesen helfen sich
gegenseitig. Das ist Teil ihrer Lebensweise.»

Viele haben sich der Landwirtschaft zugewandt. So etwa in Tegeh Sari,
einer Gemeinde in der Hauptstadt Denpasar, wo Anwohner eine 1000
Quadratmeter große frühere Müllhalde in blühendes Farmland verwande
lt
haben. Tomaten, Paprika, Auberginen und Malabarspinat bauen sie hier
an. «Jetzt müssen wir das Gemüse wenigstens nicht mehr auf dem Markt

kaufen», sagt Putu Gede Himawan Saputra, der wie seine Mitstreiter
bisher mit dem Tourismus sein Geld verdiente. Und noch einen Vorteil
hat die Bewirtschaftung des Geländes, gerade in Corona-Zeiten: «Mit
dem frischen Gemüse können wir unser Immunsystem stärken.»

Auch Gouverneur Koster hat schon im Juli auf das große Potenzial
balinesischer Agrarerzeugnisse hingewiesen - speziell mit Blick auf
tropische Früchte. «Salak (Schlangenhautfrucht) ist bereits sehr
gefragt und auch für die Drachenfrucht bereiten wir einen Markt vor.»
Überhaupt möchte Koster Balis Wirtschaft nach so vielen Rückschläge
n
künftig auf mehr Pfeiler stellen als nur auf den Tourismus, darunter
den Innovationssektor und die Fertigungsindustrie.

Dennoch, die Pandemie hat die Balinesen hart getroffen. Auch wenn das
Virus der Insel selbst eine Atempause von den Massen verschafft,
leiden die Menschen unter Jobverlust und Geldnot. «Wir Balinesen
neigen dazu, unsere Gefühle nicht zu zeigen», sagt Wayan Partawan,
der normalerweise als Yogalehrer in einem bekannten Resort arbeitet.
Derzeit kann er nur Online-Kurse geben. «Wir sehen zwar nach außen
glücklich aus, aber dahinter verbirgt sich Traurigkeit», sagt er.

Noch etwas anderes fällt in diesen Tagen auf. Die Einwohner gehen
verstärkt einer ihrer großen Leidenschaften nach: Drachen steigen
lassen. Wer Bali kennt, der weiß um diese Passion der Inselbewohner.
Flugdrachen gelten bei den hinduistischen Balinesen als Glücksbringer
- da ist es vielleicht kein Zufall, dass sich derzeit so viele am
Himmel tummeln.