Nawalny, Corona & Co.: Ein verzwickter Unionsmachtkampf Von Jörg Blank, dpa

Nach der Sommerpause geht der Machtkampf in der CDU in die
entscheidende Phase. Ein zentraler Punkt dabei: Kann der neue
CDU-Chef auch Kanzler?

Berlin (dpa) - Kann Armin Laschet noch aufholen? Am Samstag reist der
NRW-Ministerpräsident extra in den Erzgebirgskreis. Zusammen mit
Michael Kretschmer besucht er ein Schaubergwerk - der sächsische
Regierungschef gilt als beliebter Hoffnungsträger in der CDU. Später
ist Laschet bei der 30-Jahr-Feier des Freistaats dabei. Es geht um
Symbolik und Bilder - sonst jubeln die Leute im Osten schließlich
meist Friedrich Merz zu, Laschets größtem Gegner im Kampf um den
CDU-Vorsitz. Und nun? Ist Laschet wieder in der Defensive: Er muss
vor allem erklären, warum er beim Festkonzert mit 2000 Leuten dabei
ist, während zu Hause in NRW noch viel strengere Regeln gelten.

Gut drei Monate vor dem geplanten Stuttgarter Wahlparteitag scheint
das Rennen um den CDU-Vorsitz völlig offen. Besonders vertrackt ist
die Lage, weil immer die zentrale Frage im Hintergrund steht: Kann
der nächste CDU-Chef auch Kanzlerkandidat?

In den Umfragen liegt Markus Söder hier meilenweit vor den
CDU-Kandidaten. Im jüngsten «Deutschlandtrend» von ARD-«Tagesthemen
»
und «Welt» kommt der bayerische Ministerpräsident auf 56 und Merz auf

33 Prozent. Laschet und der Außenexperte Norbert Röttgen folgen
abgeschlagen mit 24 und 21 Prozent. Bei den Unionsanhängern liegt
Laschet auf dem letzten Platz - Söder kommt auf 75 Prozent, Laschet
auf 24. Ein Bayer als Kanzler? Doch das Ringen in der Union ist noch
lange nicht entschieden.

Vor der Sommerpause hatten auch einige in der CDU-Führungsmannschaft
große Zweifel, ob Laschet aus dem Umfragetief nochmal herauskommen
könne. Doch hört man sich derzeit in der Union um, könnte sich das
Bild noch drehen. Vielleicht, so heißt es hinter vorgehaltener Hand,
sei Laschet in der Corona-Krise im Vergleich zu dem immer tatkräftig
auftretenden Söder ja doch Unrecht getan worden.

Zugleich heißt es zwar weiterhin unisono, Merz werde Fehler wie bei
seiner Kandidatur gegen die nun scheidende Parteichefin Annegret
Kramp-Karrenbauer im Dezember 2018 nicht wiederholen. Er bearbeite
intensiv die möglichen Delegierten für den nächsten Parteitag. Doch
auch der 64 Jahre alte Wirtschaftsexperte hat Probleme wegen der
Corona-Krise. Laschet und Söder können sich da als Regierungschefs in
der Pandemie viel besser profilieren.

Selbst der im Ringen um den Parteivorsitz als Außenseiter geltende
Röttgen hat als anerkannter Außenpolitiker etwa beim Thema Nawalny
eine öffentliche Bühne, auf der er stärker als noch vor wenigen
Wochen wahrgenommen wird. Nicht umsonst dürfte sich Merz deswegen
jüngst außergewöhnlich kritisch über die Zukunft der Gaspipeline No
rd
Stream 2 geäußert haben: Als Konsequenz aus der Vergiftung des
russischen Regierungskritikers Alexej Nawalny plädiert der
Wirtschaftsexperte für ein zweijähriges Moratorium beim Bau der
umstrittenen Gasleitung.

Für Laschet steht kommende Woche eine wichtige Wegmarke an. Weil
öffentliche Stimmungstests bei Parteiauftritten in Corona-Zeiten so
schwierig sind, dürften viele auf das Abschneiden der CDU bei den
NRW-Kommunalwahlen am Sonntag schauen. Können die Christdemokraten
der SPD wichtige Oberbürgermeisterposten wie in Düsseldorf abnehmen,
dürfte das auch auf Laschets Konto einzahlen, hoffen sie in der CDU.

Söder und die CSU halten sich derweil aus dem Streit um den
CDU-Vorsitz betont heraus. Hinter vorgehaltener Hand ist bei der
kleinen Unionsschwester aber zu hören, Laschet habe im Vergleich zu
Merz aufgeholt, es laufe wohl auf den Ministerpräsidenten zu. Zudem
seien bei der CDU Aufbruchstimmung und Teamgeist nach der
Vorsitzendenwahl nötig - und nicht eine erneute Spaltung wie nach der
Abstimmung zwischen Merz und Kramp-Karrenbauer. Sonst könne man die
Bundestagswahl im Herbst 2021 auch leicht vergeigen. Laschet habe
hier Teamgeist gezeigt, als er im Tandem mit Gesundheitsminister Jens
Spahn angetreten sei, heißt es anerkennend in der CSU.

Und die Kanzlerkandidatur? Selbst frühere vehemente Kritiker Söders
auf CDU-Seite erkennen heute an: Der 53-Jährige habe sich im Amt des
Ministerpräsidenten verändert. Auch die Kanzlerin, so heißt es, denke

heute anders über ihn als noch vor wenigen Jahren. Da zählte er zu
einem der schärfsten Kritiker ihrer Migrationspolitik.

Für Angela Merkel gehe es im letzten Amtsjahr nicht nur darum, ihren
Ausstieg aus dem Kanzleramt ordentlich über die Bühne zu bringen und
einen schönen Eintrag in den Geschichtsbüchern zu erhalten, heißt es

in der CDU - Kritiker werfen ihr genau dies vor. Neben dem
selbstbestimmten Ausstieg aus dem Amt wäre es für sie die Krönung,
könnte die Union auch nach 16 Merkel-Jahren weiterhin den Kanzler
stellen, heißt es da. Und das werde ganz schön schwierig, ist man
sich im Adenauerhaus genauso sicher wie im Kanzleramt. Ob sich da
auch Merkel mit einem Kanzlerkandidaten Söder anfreunden könnte?

Bis zu dieser Entscheidung werden noch Monate vergehen - selbst wenn
sich in der CDU manche erhoffen, dass man mit einem gemeinsamen
Unionskandidaten ins Superwahljahr 2021 starten könnte. Gerade auch,
weil die SPD ihre Kandidatenfrage schon gelöst hat und die Union hier
eine offene Flanke besitzt. Doch für Söder ist die Lage anders: Er
dürfte auch zu Hause in Bayern am meisten davon profitieren, wenn er
möglichst lange als kanzlerfähig gilt.

Für die CDU geht es zunächst um eine ganz grundlegendere Frage: Kann

wegen Corona überhaupt Anfang Dezember ein neuer Vorsitzender gewählt
werden? Am Tag nach der NRW-Wahl, dem 14. September, soll der
Parteivorstand darüber entscheiden. Ziel ist nach wie vor, am Treffen
der 1001 Delegierten in Stuttgart festzuhalten - in abgespeckter,
eintägiger Form. So könnte der Parteitag am 4. oder 5. Dezember
stattfinden, kurz vor dem 2. Advent.

Zwar werden auch Alternativen geplant, etwa mit anderen Orten oder
noch mehr Digitalformaten. Aber selbst wenn es bis dahin eine
Änderung des Parteiengesetzes gäbe, die auch Wahlen per
Videokonferenz erlauben würde - diese Variante gilt in der CDU als
die Unwahrscheinlichste. Zum einen ist die Angst vor einer Anfechtung
riesengroß - dann müssten Parteitag und Vorsitzendenwahl mitten im
Wahljahr wiederholt werden. Zum anderen ist zu hören, auch die drei
Kandidaten wollten unbedingt ein Präsenztreffen. Schon wegen der
Symbolkraft der Bilder von einem jubelnden Parteitag.