Unruhen in Serbien wegen Corona-Politik von Präsident Vucic

Bis Anfang Mai galt in Serbien ein Lockdown, der strenger war als
anderswo in Europa. Doch dann nahten die Parlamentswahlen und alle
Einschränkungen fielen mit einem Schlag. Nun kehrt die Pandemie
zurück, doch den Bürgern graut es vor neuen Maßnahmen.

Belgrad (dpa) - Die inkonsequente Politik des serbischen Präsidenten
Aleksandar Vucic zur Bekämpfung der Corona-Pandemie hat am
Mittwochabend zum zweiten Mal in Folge Unruhen im Zentrum der
Hauptstadt Belgrad ausgelöst. Wie schon am Vorabend kam es zu
Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Bereitschaftspolizisten.
19 Beamte und 17 Demonstranten erlitten Verletzungen, berichtete der
Fernsehsender N1 unter Berufung auf Krankenhausärzte.

Tausende protestierten gegen mögliche neue Einschränkungen des
Alltags, die Vucic wegen der steigenden Ansteckungszahlen angekündigt
hatte. Dabei hatte der Staatschef seine Ankündigung vom Dienstag,
eine Ausgangssperre über das gesamte kommende Wochenende zu
verhängen, am Tag darauf wieder zurückgezogen. Demonstrationen gegen
Vucic mit tausenden Teilnehmern fanden am Mittwochabend erstmals auch
in anderen serbischen Großstädten statt, so etwa in Novi Sad, Nis und
Kragujevac.

In Belgrad demonstrierten Tausende Menschen am Mittwochabend zunächst
friedlich, wie Medien berichteten. Eine kleinere Gruppe militanter
Demonstranten sonderte sich jedoch ab und suchte den Konflikt mit der
Polizei. Sie warfen Steine und Feuerwerkskörper auf die Polizisten,
diese trieben die Menge mit Tränengas und Schlagstöcken auseinander.
Fernsehsender zeigten Live-Bilder von chaotischen Szenen. Der Geruch
von Tränengas hielt sich noch für Stunden in den Straßen der
Innenstadt. Am Donnerstagmorgen war die Lage wieder ruhig.

Am Dienstagabend, dem ersten Protesttag, waren die Militanten sogar
kurzzeitig ins Parlamentsgebäude eingedrungen, vor dem die Menschen
demonstriert hatten. Die Polizei hatte sie damals ebenfalls unter
Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken von dort vertrieben.

Die Regierung versucht, die Proteste als «Putschversuch» und als
Ergebnis der angeblichen Wühlarbeit nicht näher bezeichneter
ausländischer Mächte darzustellen. «All dies ist nur als nackte
Gewalt zu bezeichnen, die darauf abzielt, die Macht zu übernehmen»,
erklärte Innenminister Nebojsa Stefanovic in der Nacht zum
Donnerstag.

Tatsächlich richten sich die Proteste gegen die inkonsequente und
widersprüchliche Politik von Präsident Vucic bei der Bekämpfung der
Corona-Pandemie. Von Mitte März bis Anfang Mai hatte er einen
Ausnahmezustand verhängt, der umfassende Ausgangssperren und
drakonische Strafen für Verstöße gegen Bewegungsverbote und
Quarantäneauflagen einschloss. Die Maßnahmen, die viel härter waren
als etwa in den Nachbarländern Kroatien und Ungarn, waren unbeliebt,
führten aber zu einer signifikanten Eindämmung der Pandemie.

Ende Mai hob Vucic den Ausnahmezustand auf und setzte die im April
geplanten und verschobenen Parlamentswahlen für den 21. Juni an, die
seine Regierungspartei SNS - unter dem Boykott der meisten
Oppositionskräfte - haushoch gewann. Mit dem Ende des
Ausnahmezustands fielen praktisch übergangslos alle bisherigen
Einschränkungen. Es gab Wahlkampf auf öffentlichen Plätzen,
Fußballspiele vor bis zu 20 000 Zuschauern, die Nachtgastronomie
durfte wieder öffnen. Seit etwa zwei Wochen stecken sich jedoch in
Serbien wieder durchschnittlich 300 Menschen am Tag mit dem
Coronavirus an. Besonders die Hauptstadt Belgrad ist betroffen. Am
Dienstag hatte Vucic davon gesprochen, dass dort die Krankenhäuser
bereits an den Grenzen ihrer Kapazitäten angelangt seien.

Für den Donnerstag kündigte der Präsident die Bekanntgabe von neuen
Anti-Corona-Maßnahmen an. Eine Ausgangssperre wie zur Zeit des
Ausnahmezustands schloss er ausdrücklich aus.