Reformen im Profifußball: Viel Verständnis - und die Taten? Von Claas Hennig, dpa

Die DFL hat die Corona-Bundesliga zu Ende gebracht. Nun werden die
Stimmen in der Diskussion um Reformen des Systems Profifußball wieder
lauter. Vor allem die Fans wollen gehört werden. DFL und DFB geben
sich verständnisvoll. Der Weg zu einem anderen Fußball ist aber lang.

Hamburg (dpa) - Die Bundesliga-Saison in Corona-Zeiten ist beendet,
das Ringen um einen anderen Profifußball geht aber weiter. Die
stärksten Treiber der Diskussion um Reformen des Systems sind
ausgerechnet diejenigen, die zuletzt aus den Stadien verbannt waren:
die Fans. «Wir wollen nicht zurück zu einem kaputten System. Wir
fordern Vereine und Verbände auf, vor dem Beginn der kommenden Saison
zu handeln», heißt es in einem Aufruf des neuen Fan-Bündnisses «U
nser
Fußball».

Und die Branchen-Protagonisten haben dem Anschein nach verstanden,
dass es ein Weiter so nicht mehr geben kann. Die Deutsche Fußball
Liga kündigte an, dass in der für September geplanten Taskforce
«Zukunft Profifußball» auch Fan-Vertreter dabei sein werden. Der
Deutsche Fußball-Bund rief dazu auf, dass Verbände und Vereine die
Überlegungen der Fans «ernst nehmen» müssen.

Dass das System bezahlter Fußball krankt, war schon lange vor dem
Auftauchen des neuartigen Virus bekannt. Die Corona-Krise hat die
Symptome nur erkennbarer gemacht. Protz-Bilder junger Profis in
sozialen Netzwerken, Multi-Millionen-Gehälter, aberwitzige
Ablösesummen, üppige Berater-Honorare und überhebliche Funktionäre

wurden vor der Krise als Belege für den Ruf einer abgehobenen
Milliarden-Branche angeführt.

Geradezu demütig gaben sich die mächtigen Bundesliga-Macher im
Vorfeld des Neustarts Mitte Mai und angesichts der Krise. Dass die
Mehrheit der Menschen die Bundesliga nicht als systemrelevant ansahen
und eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs mitten in der Pandemie
ablehnten, schreckte manchen in der Blase Profifußball auf.

«Ich glaube, dass es in den letzten Jahren einige Ausprägungen gab,
die man im Alltag nicht genügend reflektiert hat», sagte DFL-Chef
Christian Seifert im Mai im «Aktuellen Sportstudio» des ZDF. Ähnl
ich
äußerte sich DFB-Präsident Fritz Keller zu den Ursachen der
Entfremdung. «Vielleicht waren wir beim Fußball etwas verblendet»,

sagte er in der ARD-Sendung «Sportschau Thema». Der Fußball solle
wieder näher «an die Fans, an die Menschen».

In einem Interview auf der DFB-Homepage mahnte der 63-Jährige auch
eine andere Führungskultur an. «Wir erleben doch jetzt, wohin viele
Vereine das kurzfristige Denken nicht über die aktuelle Saison hinaus
geführt hat: in existenzielle Schwierigkeiten.» Er plädiert für
nachhaltiges Wirtschaften: «Ökonomisch, ökologisch, sozial.» Es sol
le
nicht immer nur «in einer Saison oder einer Wahlperiode» gedacht
werden, «sondern vielmehr an die nächste Generation».

Dass die Bundesliga und die 2. Bundesliga - auch mit dem Beistand der
Politik - wieder ihren Spielbetrieb aufnahmen, war für viele Vereine
existenziell notwendig. Laut «Kicker» waren 13 der 36 Clubs ohne die
TV-Gelder von der Insolvenz bedroht. Dass die Spiele ohne Zuschauer
stattfanden, gefiel vielen organisierten Fans nicht. «Das ist die
Botschaft, die die DFL sendet: Wir brauchen euch nicht», sagte Helen
Breit von der Fan-Vereinigung «Unsere Kurve» in der ARD. «Ich weiß

nicht, ob sich was ändert. Manche Sachen wären wünschenswert. In der

Corona-Krise hatten einige Vereine finanziell zu kämpfen. Ein Schritt
zurück ist manchmal auch ganz gut», sagte Bayern-Coach Hansi Flick.

Immerhin gelang es der DFL, die Saison ohne ganz spektakuläre
Corona-Ausfälle abzuwickeln - abgesehen vom Video des
Hertha-Angreifers und Hobbyfilmers Salomon Kalou und von der
Einkaufstour des Augsburger Trainers Heiko Herrlich. Kritisch war es
hingegen bei Zweitliga-Absteiger Dynamo Dresden, der nach
Corona-Fällen erst verspätet wieder einstieg und auch an dem dadurch
bedingten Mammutprogramm scheiterte.

International erlebte die Bundesliga durch den Neustart eine
Aufwertung. England, Italien und Spanien begannen erst später mit dem
Liga-Betrieb, die französische Ligue 1 hatte ihre Saison sogar
abgebrochen. Das Hygienekonzept der DFL dient anderen Ligen und
Verbänden als Vorbild.

Dass ein vorsichtiges Umdenken in Bezug auf gesellschaftliche
Verantwortung auch bei den Spielern beginnt, deutete sich bei den
Anti-Rassismus-Protesten an. Erst waren es einige wenige Profis,
später fast alle Mannschaften, die nach dem gewaltsamen Tod des
Afroamerikaners George Floyd in den USA Zeichen gegen Diskriminierung
setzten. Der DFB und die Vereine unterstützten die Aktionen, statt
sie zu sanktionieren.

Auch ließen Äußerungen wie die von Nationalspieler Julian Brandt
von Borussia Dortmund aufhorchen. «Auch wenn Fußball der größte S
port
der Welt ist, stehen die Gehälter in keinem Verhältnis zu denen von
Normalverdienern», sagte der gebürtige Bremer in einem Interview des
Fachmagazins «11 Freunde». Das sei nur möglich, «weil Sponsoren
unfassbar hohe Summen in den Fußball pumpen». Er wisse, dass das
alles nicht mit normalen Maßstäben zu messen sei «und wir teilweise
eine eigene Blase bilden», sagte der 24 Jahre alte Offensivspieler.

Gehalts-Obergrenzen, geringere Transfersummen, mehr Bescheidenheit,
näher an den Menschen - wird alles gut, haben alle verstanden? Dass
der Weg zu einem anderen, solidarischen Profifußball weit ist, zeigte
sich nach Bekanntwerden des neuen TV-Vertrages. Sofort ging die
Diskussion los, wie die erlösten 4,4 Milliarden Euro verteilt werden
sollen. Meister Bayern München und Wieder-nicht-Meister Borussia
Dortmund wollen an dem für sie profitablen System festhalten, andere
finanziell minder bemittelte Vereine rufen indes nach Änderungen.

Da erscheinen die Fan-Forderungen wie aus dem Aufruf des Bündnisses
«Unser Fußball» derzeit noch wie eine Utopie: «Als gesellschaft
liches
Vorbild handelt unser Fußball sozial nachhaltig und wird seiner
ökologischen Verantwortung gerecht. Kurzfristiges Denken und
schlechtes Wirtschaften müssen der Vergangenheit angehören.»