Pandemie? Welche Pandemie? Schöne, coronafreie Fernsehwelt Von Britta Schultejans, dpa

Seit Monaten ist die Corona-Krise das vorherrschende Thema nicht nur
in Deutschland, sondern weltweit. In Fernsehserien ist davon bislang
aber nicht viel zu merken. «GZSZ», «Sturm der Liebe» und Co. haben

eine sehr konsequente Art gefunden, mit der Pandemie umzugehen.

München (dpa) - In der Realität tobt das Virus, doch auf dem
Fernsehbildschirm herrscht eine coronafreie Welt: Bekannte deutsche
Serien wollen die Corona-Krise bis auf Weiteres konsequent
ignorieren, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab.

Das gilt für die «Rosenheim-Cops» in Bayern ebenso wie das
«Großstadtrevier» im hohen Norden, für «Gute Zeiten, schlechte
Zeiten» (GZSZ) und «Sturm der Liebe» ebenso wie für «Berlin - Tag
&
Nacht». «Inhaltlich thematisieren wir Corona aktuell nicht», teilt
eine Sprecherin der Ufa auf Anfrage mit. Die Ufa produziert
beispielsweise die Seifenopern-Dauerbrenner «Unter Uns» und eben
«GZSZ», wo gerade um Serienfigur Alexander getrauert wird - mit viel

Abstand und ohne tröstende Umarmungen.

Ein Einzelfall ist das nicht - ganz im Gegenteil. Alle angefragten
Serien wollen genau so verfahren: Pandemie? Welche Pandemie? Die
Geschäftsführung von «Studio Hamburg», das den Hamburger Klassiker

«Großstadtrevier» und die Telenovela «Rote Rosen» produziert, tei
lt
mit, «dass die Covid-19-Pandemie keine Rolle in den Drehbüchern und
Geschichten spielen wird» - und nennt auch Gründe dafür: «Erstens

verhalten sich Zuschauer eskapistisch und wollen in fiktionalen
Formaten nicht mit der Realität konfrontiert werden», heißt es dort.

«Zweitens sind Serien repertoirefähig, das heißt, sie werden als
Wiederholungen auf anderen Sendeplätzen auch noch in einigen Jahren
eingesetzt werden, wenn es - hoffentlich - kein Corona mehr gibt.»

Auf die Dreharbeiten hat Corona zwar große Auswirkungen. Strenge
Hygienepläne wurden ausgearbeitet, es muss viel Abstand geben
zwischen den Schauspielern. Bei den «Rosenheim-Cops» wurde sogar das
Set umgebaut. Und bei einigen Serien finden die Proben mit Masken
statt. Doch gedreht wird dann ohne. In der fertigen Folge soll man
die Masken, die in der Realität inzwischen das Stadtbild prägen,
nicht sehen.

«Wir haben uns bewusst entschieden, unserem Publikum eine halbe
Stunde Auszeit vom Thema Corona zu bieten und greifen dieses deshalb
in «Dahoam is Dahoam» inhaltlich nicht auf», teilt der Bayerische
Rundfunk auf Anfrage zu seiner Erfolgs-Seifenoper mit. «Viele
positive Reaktionen von Zuschauerinnen und Zuschauern im Netz
bestärken uns in dieser Entscheidung.»

RTLzwei führt vor allem ganz praktische Gründe an, warum das Virus
auch in «Berlin - Tag & Nacht» oder «Köln 50667», Sendungen, di
e sich
als «Reality-Soaps» verstehen, keine Rolle spielen wird: Bei
Produktionsvorläufen von bis zu acht Wochen sei das schlicht nicht
möglich. Vom Tisch sei das Thema damit aber nicht, betont ein
Sprecher. «So unterstützen wir mit «Köln 50667» beispielsweise da
s
Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege bei der
Aufklärung zur Corona-Pandemie. Abseits des Serieninhaltes, aber sehr
wohl auf allen relevanten Plattformen und mit großem Erfolg.»

Bavaria Fiction, die «Die Rosenheim-Cops» und «Sturm der Liebe»
produzieren, teilen mit: «Eine Pandemie passt inhaltlich nicht zur
Ausrichtung der beiden Serien.» Darum finde Corona dort nicht statt.
««Sturm der Liebe» ist ein modern erzähltes Märchen; «Die
Rosenheim-Cops» legen mit Witz und Charme vor der malerischen Kulisse
des Alpenvorlandes den Bösewichtern das Handwerk.» In beiden Serien
sollen «die Zuschauer bewusst vom Alltag abschalten und in eine
fiktionale Welt eintauchen, die Sorgen und Nöte der realen Welt
bleiben außen vor».

«Das zentrale Konsumentenbedürfnis, das viele Fiction-Serien
adressieren, ist das des Eskapismus: Die Zuschauen wollen flüchten
aus ihrer realen Welt mit allen nervigen Details und Beschränkungen»,
sagt Thorsten Hennig-Thurau, Professor für Marketing und Medien an
der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.

Insofern hätten die Serienmacher mit ihrem Vorgehen wahrscheinlich
Recht, so der Forscher. Ganz risikofrei sei das aber nicht. «Wir
merken, dass soziale Distanz und Masken zunehmend zu einem Teil
unseres Alltags werden, so dass fiktionale Angebote aufpassen müssen,
dass sie nicht von den Zuschauern als unrealistisch gesehen werden.»

Bei den Serien «Um Himmels Willen», «Der Bergdoktor» und «Die
Bergretter», die alle von der Firma ndf produziert werden, waren die
Drehbücher schlicht schon fertig und damit war kein Platz mehr für
Corona, wie Geschäftsführer Matthias Walther sagt. Ob die Geschichten
auch künftig coronafrei bleiben sollen, lässt er offen. «Vielleicht
wird das Ganze eines Tages ein Thema, das hängt sicher von der
weiteren Entwicklung dieser Pandemie ab.»

Die Hamburger Medienwissenschaftlerin Joan K. Bleicher sieht eine
fehlende Flexibilität, die strukturbedingt ist: «Serien schaffen ja
geschlossene fiktionale Erzählwelten, in denen Bezüge zu aktuellen
Ereignissen wenig Platz haben. Auch die langfristige Produktion
erschwert es, kurzfristig auf Phänomene wie Corona reagieren zu
können», sagt sie. «Die einzige deutsche Langzeitserie, die
regelmäßig auf gesellschaftliche Entwicklungen reagierte, war die
«Lindenstraße».»