«Schiffe stopfen» im Nord-Ostsee-Kanal Von André Klohn und Axel Heimken , dpa

Als Kind spielt er an der Kanalböschung, als Erwachsener schleust er
dicke Pötte durch den Nord-Ostsee-Kanal. Wenn die Warteliste lang
ist, muss Schleusenmeister Kroymann-Meyer «Schiffe stopfen». Und
manchmal hat er auch ungewöhnliche Gäste.

Kiel (dpa/lno) - Eine große Möwe gleitet durch die laue Sommernacht
über die Schleuse und setzt dann rasch zur Landung an. Ihr Landeplatz
auf dem Balkon des Schleusenmeister-Hauses bietet einen tollen Blick
auf Nord- und Südkammer des Nord-Ostsee-Kanals in Kiel. «Die kommen
sogar rein und setzen sich bei uns auf den Teppich», sagt Heiko
Kroymann-Meyer. Der 53-Jährige ist seit zwölf Jahren Schleusenmeister
in Kiel-Holtenau. Er hat drinnen vor einer Wand aus fünf Monitoren
die Nachtschicht.

Im Leben des Schleswig-Holsteiners spielte die künstliche
Wasserstraße die meiste Zeit seines Lebens eine Rolle. Seine Kindheit
verbrachte er in Breiholz, ziemlich genau an der Mitte des Kanals.
«Da war mein Spielplatz an der Kanalböschung.» Das Wasser und die
Schiffe hätten ihn bereits als Kind begeistert. Seit 27 Jahren hat er
hier seinen Arbeitsplatz. Die ersten 15 Jahre brachte er mit einer
Kanalfähre Autos, Fahrradfahrer und Fußgänger von einer auf die
andere Seite.

Davor fuhr er selbst elf Jahre lang als Kapitän auf kleiner Fahrt auf
Nord- und Ostsee. «Wir sind viel durch den Kanal gefahren.» Das knapp
80 Meter lange Schiff gehörte seinem Vater. Auch der Großvater fuhr
zur See. «Erst waren es Holzpakete aus Skandinavien, die wir immer
geholt haben, dann ging es über in Containerschifffahrt.» Ob es noch
in den Fingern juckt, wenn die dicken Pötte vor ihm in die
Schleusenkammer fahren. «Gar nicht», antwortet er blitzschnell.

Spiegelglatt ist das Wasser an diesem Abend. Und das liegt nicht nur
an der Windstille. Die Folgen der Corona-Pandemie schlagen auf die
Schifffahrt durch. «Im Moment ist es sehr mau», sagt der
Schleusenmeister. Für die Nacht stehen nur wenige größere Schiffe auf

der Liste, die den Kanal verlassen oder von der Ostsee kommend die
knapp 100 Kilometer lange Passage von Kiel nach Brunsbüttel angehen.
Ein wesentlicher Grund sind die niedrigen Spritpreise. «So dass die
meisten sagen: Dann fahren wir oben rum», sagt Kroymann-Meyer.

Das beobachtet auch Jens Knudsen. «Seit Anfang April herrscht im
Kanal Flaute», sagt der Vorsitzende der Initiative Kiel-Canal - wie
die Wasserstraße international heißt. «Seit Ausbruch von Corona
meiden Reeder den Kanal aus zwei Gründen: Erstens wegen der extrem
niedrigen Treibstoffpreise und zweitens aus Angst, die Crew könne
sich während der Passage mit dem neuartigen Coronavirus infizieren.»
Viele Reeder schickten ihre Schiffe deshalb auf den Umweg über
Skagen. «Es gab Momente, wo es für ein Feederschiff mit 1400
Standardcontainern (TEU) 1000 Euro günstiger gewesen ist, oben
herumzufahren.» Der Bund hat reagiert. Er will den Kanal durch
Aussetzen der Befahrungsabgaben bis Jahresende stützen.

Um Mitternacht herrscht aber doch Betrieb in der Schleuse. Mindestens
sieben Stunden brauchen Schiffe von Brunsbüttel nach Kiel. Auf dem
Weg nach Kokkola (Finnland) macht das knapp 135 Meter lange
Containerschiff «Aurora» fest. An Land kümmern sich zwei Festmacher

um die dicken Taue. Wenige Minuten später folgt die knapp 158 Meter
lange «Tunadel» auf dem Weg nach Polen. «Das sind beides Stammgäste
»,
sagt Kroymann-Meyer. Nur einen Fingertipp auf dem Monitor braucht der
Schleusenmeister, um hinter beiden Schiffen das schwere Schleusentor
zufahren zu lassen. In der Regel dauere eine Schleusung etwa 45
Minuten. Ist die Warteliste lang, bestehe die Herausforderung im
«Schiffe stopfen», um möglichst viele gleichzeitig zu schleusen.

Aber nicht immer läuft alles glatt. Mehrfach krachten Schiffe in die
Schleusentore. Viele Pötte seien schnell unterwegs, sagt
Kroymann-Meyer. «Die Kapitäne kennen ihre Schiffe. Die reißen einmal

den Hebel runter und dann stehen die.» Oder es kracht wie vor wenigen
Monaten in einer Nachtschicht von Kroymann-Meyer. Zwar laufe deshalb
noch immer Wasser durchs Tor, sagt er.

Folgenreicher aber war die Havarie der «Akacia» im Februar 2018. Das
Containerschiff rammte das Tor der Südkammer so heftig, dass der Bug
die Stahlkonstruktion teilweise durchbrach. Sieben Wochen fiel die
Kammer wegen Reparaturen aus, der Schaden lag im zweistelligen
Millionenbereich. «Da war ich nicht hier», sagt Kroymann-Meyer mit
einem Lächeln. Als Ursache wurde bei der «Akacia» seinerzeit ein
Defekt an der Maschinenanlage vermutet.

Manchmal stoppt aber auch die Wasserschutzpolizei die Schiffe.
Kroymann-Meyer erinnert sich an einen arg betrunkenen Kapitän. Da
habe er nach dem Hinweis eines Lotsen die Polizei informiert. Nur mit
Mühe sei der Seemann in der Schleuse von Bord gebracht worden. Dort
habe er sich auf einen Poller gesetzt, weil er nicht mehr laufen
konnte. «Dann haben sie ihn irgendwann auf die Ladefläche eines
Elektrofahrzeugs gezogen und sind mit ihm ab. Das war ein Bild für
die Götter.» Diese schwarzen Schafe gebe es leider immer wieder.

Nicht nur große Schiffe, Jachten und Segelboote nutzen die
Schleusenanlage in Holtenau. 2016 sorgte ein Delfin für Aufregung.
«Der ist regelmäßig in den Kanal und wieder raus. Er wurde regelm
äßig
durchgeschleust», sagt der Norddeutsche. Aus Sorge, das Tier könne
durch die Geräusche der Schiffe und die Verwirbelungen des Wassers
Schaden nehmen, wurden keine Schiffe gemeinsam mit ihm in die
Schleuse gelassen. «Wir wollten dem ja nix tun», sagt Kroymann-Meyer.
Die Sorge sei letztlich unbegründet gewesen: «Der hat hier Sprünge

gemacht.»

Der Kieler Schleusenmeister macht seinen Job gern. Der werde ihm
nicht langweilig. «Und ich habe noch den Kontakt zur Seefahrt. Auch
wenn ich nicht mehr zur See fahren will.»