Wanderzirkus im Sperrbezirk: Formel 1 besteht ersten Stresstest Von Christian Hollmann, dpa

Als erster internationaler Sport ist die Formel 1 aus der
Corona-Zwangspause zurückgekehrt. Das strikte Hygienekonzept hat in
Österreich den ersten Stresstest bestanden. Die Ungewissheit aber
fährt weiter mit.

Spielberg (dpa) - Auf ein kleines Stück Normalität will die Formel 1
in ihrem Sperrbezirk zum Start in die Notsaison dann doch nicht
verzichten. Und so schmettert eine steirische Trachtengruppe den
Erzherzog-Johann-Jodler über die verwaisten Tribünen von Spielberg,
Kunstflieger ziehen Rauchkringel über das gespenstisch leere
Fahrerlager. Die Show muss ja irgendwie weitergehen. Als erster
internationaler Sport hat die Formel 1 die Rückkehr geschafft, wenn
auch nur im Notbetrieb mit strikten Hygieneregeln. «Das ist eine
außerordentliche Leistung», sagt Weltverbandspräsident Jean Todt, der

selbst zur Inspektion nach Österreich gereist ist.

Bei aller Erleichterung über den gelungenen Neustart fährt die Sorge
aber weiter mit. Wie lange kann das gut gehen mit der verordneten
Selbstisolation im PS-Wanderzirkus, der bis Mitte Dezember noch
mindestens 14 weitere Rennen aufführen will? Und kann die Formel 1
ihr wirtschaftliches Überleben trotz schwerer Einbußen und des
Corona-Einbruchs der globalen Wirtschaft sichern? «Wir sind in einer
absoluten Krisensituation», sagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff.

Fia-Präsident Todt rechnet mit «langfristigen Konsequenzen» für die

Formel 1. Auch die großen Hersteller seien betroffen, viele Menschen
würden ihre Arbeitsplätze verlieren. Er hoffe aber, dass dies «in
zwei, drei Jahren nur eine außergewöhnliche Erinnerung sein wird».

Unter dem Druck der Pandemie hat die Rennserie ein Rettungspaket
geschnürt. Die neue Budgetgrenze wurde für 2021 noch einmal deutlich
gesenkt, die mit hohen Entwicklungskosten verbundene Reform des
Regelwerks um ein Jahr auf 2022 verschoben. Doch diese Zukunft ist
noch fern, erst einmal muss die Formel 1 die Herausforderungen der
Gegenwart meistern.

Auf 81 Seiten hat die Fia die «Richtlinien für die Rückkehr des
Motorsports» nach dem Corona-Stillstand festgeschrieben. Auf dem
Red-Bull-Ring, der am nächsten Sonntag auch Gastgeber des zweiten
Saisonlaufs sein wird, herrscht Maskenpflicht auch im Freien. Am
Eingang wird Fieber gemessen, überall stehen mobile Spender mit
Desinfektionsmittel. Alle Beteiligten sind streng in Untergruppen
unterteilt, die auch nach Feierabend keinen Kontakt zueinander haben
sollen. Das Abstandsgebot ist nur im Rennen auf der Strecke
aufgehoben.

«In aller Demut, aber auch mit großem Stolz dürfen wir jetzt ein
kleines Stück Renngeschichte schreiben bei uns in Spielberg im grünen
Herzen Österreichs», lässt sich Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschit
z
im Streckenblatt «Red Bulletin» zitieren und erkennt im Wiederbeginn
der Raserei einen «Aufbruch in die Freiheit, die wir uns verdient
haben». Für das Regionalblatt «Kleine Zeitung» ist das seltsame
Schauspiel im Murtal ein «Großer Preis des Virus».

Anders als beim ursprünglichen Saisonstart in Melbourne im März, der
nur wenige Stunden vor dem ersten Training wegen eines Corona-Falls
beim McLaren-Team abgesagt worden war, blieb die umfassende Testreihe
vor dem Grand Prix in Österreich ohne positiven Befund. 4032 Fahrer,
Teammitglieder und weitere Mitarbeiter seien überprüft worden, teilte
die Formel 1 erleichtert mit.

Zuschauer aber bleiben aus Sicherheitsgründen vorerst ausgesperrt.
Polizei-Hubschrauber mit Infrarot-Kameras sollen im Umfeld der
Strecke mögliche unbefugte Schaulustige aufspüren. Das strikte
Protokoll werde wohl mindestens für die ersten acht Auftritte in
Europa gelten, sagte Fia-Renndirektor Michael Masi. «Ich erwarte da
keine großen Veränderungen. Wir wollen da beständig für alle
kommenden Events sein und das nicht jedes Mal abhängig von der Lage
im jeweiligen Land wieder ändern», erklärte der Australier.

Wie es danach weitergeht, ist noch ziemlich unklar. Acht Rennen
genügen zwar laut Reglement, um einen Weltmeister zu küren. Für die
Rettung des Großteils der TV- und Sponsorengelder aber sind
mindestens 15 Grand Prix nötig. Doch sind die bislang nicht
abgesagten Gastspiele in den USA, Mexiko oder Brasilien trotz hoher
Infektionszahlen denkbar? «Das kann man sich wirklich nicht
vorstellen», sagt Mercedes-Teamchef Wolff der BBC. Für die Formel 1
hat die Fahrt ins Ungewisse gerade erst begonnen.