Deutsche Wirtschaft müht sich aus Corona-Krise - Ruf nach mehr Staat

Die Pandemie hat die Konjunktur ausgebremst. Ab dem dritten Quartal
soll es wieder aufwärts gehen. Doch nicht alle Branchen werden sich
rasch erholen.

Frankfurt/Köln/Berlin (dpa) - Die Folgen der Corona-Krise werden der
deutschen Wirtschaft nach Einschätzung von Volkswirten bis weit ins
Jahr 2021 zu schaffen machen - mindestens. Zwar laufen die Geschäfte
mit der Lockerung der Einschränkungen allmählich wieder an. Doch es
wird dauern, die Einbußen der Pandemie wettzumachen.

«Das Produktionspotenzial dürfte in der Industrie und im
Dienstleistungsbereich auch im Jahr 2021 vielfach deutlich
unterausgelastet bleiben», schreibt das arbeitgebernahe Institut der
deutschen Wirtschaft (IW/Köln) auf Grundlage einer am Dienstag
veröffentlichten Umfrage unter Wirtschaftsverbänden. In einigen
Bereichen werde die Wirtschaftsleistung erst im Jahr 2022 wieder das
Niveau von vor der Corona-Krise erreichen.

DIW-Präsident Marcel Fratzscher geht davon aus, dass die deutsche
Wirtschaft drei bis vier Jahre brauchen wird, um wieder das
Vorkrisenniveau zu erreichen. «Die Bundesregierung muss wohl noch
einmal nachlegen», sagte der Chef des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung (DIW) der «Passauer Neuen Presse» (Dienstag).

Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) forderte die
Koalition aus Union und SPD zu Nachbesserungen bei Hilfsprogrammen
auf. Denn in einer DIHK-Umfrage unter 8500 Unternehmen berichteten
mehr als 40 Prozent der Firmen von Liquiditätsengpässen. Fast jedes
zweite Unternehmen meldet demnach einen Rückgang des Eigenkapitals.
DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben sprach von einem «Wettlauf

ums Eigenkapital». Im Herbst werde die Lage schwierig.

Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds müsse auf den Mittelstand
erweitert werden, der Staat sich an mehr Firmen beteiligen, forderte
Wansleben. Der von der Bundesregierung in der Krise aufgelegte
milliardenschwere Fonds gilt bisher für Unternehmen ab 250
Mitarbeitern. Über das Vehikel kann sich der Bund auch an Unternehmen
beteiligen - wie etwa im Fall der Lufthansa. Wansleben sagte, der
DIHK sei wegen einer Erweiterung des Fonds für den Mittelstand in
«sehr guten» Gesprächen mit der Bundesregierung.

In der IW-Umfrage berichteten die 31 teilnehmenden Branchenverbände
fast unisono von katastrophalen Ergebnissen im vom «Lockdown»
geprägten zweiten Quartal dieses Jahres. Fünf Verbände - darunter
Automobilbranche und Gastgewerbe - gehen davon aus, dass die
Produktion in ihrem Wirtschaftszweig im Zeitraum April bis Juni um
mindestens 50 Prozent unter dem Niveau des Vorjahreszeitraums liegen
wird. In weiteren elf Wirtschaftsbereichen wird mit einem Rückgang um
20 bis 50 Prozent gerechnet.

Doch die Hoffnung auf eine Trendwende wächst. «Wir haben das Tal der
Tränen erreicht, da wird langsam der Blick nach oben gerichtet»,
sagte IW-Direktor Michael Hüther der Deutschen Presse-Agentur. «Im
dritten Quartal sollte es schon eine positive Entwicklung geben. Aber
es bleibt im zweiten Halbjahr 2020 noch sehr mühsam.»

Immerhin 20 der 31 Verbände prognostizieren für 2021 zum Teil
kräftiges Wachstum gegenüber dem Krisenjahr 2020. «Besonders schwer
scheint es mir in der Automobilindustrie zu sein», sagte Hüther.
«Denn der Umstieg auf alternative Antriebe fordert diese
Schlüsselbranche ohnehin erheblich.»

Insgesamt sei er für die weitere konjunkturelle Entwicklung ganz
zuversichtlich, sagte der IW-Direktor: «Das massive Einschreiten von
Regierungen und Zentralbanken verpufft nicht einfach.» Notenbanken
wie die Europäische Zentralbank (EZB) pumpen über Anleihenkäufe
Milliarden ins System, die Bundesregierung hat für die Jahre 2020 und
2021 ein insgesamt 130 Milliarden Euro schweres Konjunkturpaket
aufgelegt - inklusive Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 16
Prozent bzw. 7 auf 5 Prozent für ein halbes Jahr vom 1. Juli an.

Fast jeder dritte Verbraucher (29 Prozent) will diese Steuersenkung
nach Erkenntnissen der Nürnberg GfK für eine Neuanschaffung nutzen -
viele allerdings nur im kleineren Rahmen. Die Marktforscher gehen
davon aus, dass zum Beispiel Mixer, Toaster und Bügeleisen, aber auch
Unterhaltungselektronik und Gartengeräte gekauft werden.

Die Wirtschaftsforscher der Hans-Böckler-Stiftung halten das
Konjunkturpaket zwar für einen richtigen Schritt zur Stabilisierung
der Wirtschaft. Die Konjunkturexperten des Instituts für
Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen
Stiftung meinen aber zugleich, die für die Mehrwertsteuersenkung
eingeplanten 20 Milliarden Euro hätten effektiver eingesetzt werden
können - etwa durch einen höheren Kinderzuschlag.

Außerdem müssten im nächsten Jahr voraussichtlich erneut gezielte
Konjunkturimpulse gesetzt werden, die auch Klimaschutz und
Innovationsfähigkeit berücksichtigten, schreiben die IMK-Forscher.
Nach einem Rückgang des deutschen Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2020 um
6,2 Prozent erwarten sie im nächsten Jahr 3,8 Prozent Wachstum.