Hygieniker: Corona-Infektion so wahrscheinlich wie Gewinn im Bingo

Trotz der Normalisierung des öffentlichen Lebens bleibt die Zahl der
Corona-Infizierten in Hamburg sehr niedrig. Eine Ansteckung sei
zurzeit so wahrscheinlich wie ein Gewinn im Bingo, sagt der
Hygieniker Knobloch. Er warnt zugleich vor neuen Massenausbrüchen.

Hamburg (dpa/lno) - Das Risiko, sich in Hamburg mit dem neuartigen
Coronavirus anzustecken, ist nach Ansicht des Hamburger Mikrobiologen
und Krankenhaushygienikers Johannes Knobloch derzeit so groß wie die
Gewinnchance beim Bingo oder Lotto. «Die Wahrscheinlichkeit, dass
eine Person, auf die ich treffe, ansteckend ist, liegt statistisch im
Bereich des Lottos mit vier richtigen Zahlen und Zusatzzahl», sagte
der Leiter der Krankenhaushygiene im Universitätsklinikum Eppendorf
der Deutschen Presse-Agentur. Mit diesem Vergleich erklärte Knobloch,
warum die Lockerungen der Kontaktbeschränkungen und sogar eine
Anti-Rassismus-Demonstration mit rund 14 000 Teilnehmern Anfang Juni
nicht zu einer höheren Zahl an Infizierten geführt haben.

Knobloch schätzt, dass etwa jeder 10 000. Hamburger positiv ist. Das
Sars-CoV-2-Virus sei bis zu 14 Tage nach der Infektion nachweisbar,
aber nur vier bis fünf Tage übertragbar. Also könnte nur etwa jeder
20 000. Hamburger ansteckend sein. Ein Teilnehmer an einer
Demonstration mit 14 000 Menschen habe darum immer noch eine hohe
Wahrscheinlichkeit, sich nicht anzustecken. Wenn allerdings ein
sogenannter Superspreader teilnehme, könne eine neue Welle von
Infektionen losgehen. «Es ist weiter sinnvoll, solche
Großveranstaltungen nicht stattfinden zu lassen», sagte Knobloch,
dessen Spezialgebiet die Prävention aller Infektionskrankheiten ist.

Seit Mitte Mai meldet die Hamburger Gesundheitsbehörde in der Regel
eine einstellige Zahl von Neuinfektionen pro Tag. Meist gehe es dabei
um Zufallstreffer, sagte der Mikrobiologe. Am Folgetag könne die Zahl
gegen zehn tendieren, weil die Menschen in der Umgebung des
Infizierten getestet würden. Betroffen seien vermutlich vor allem
unter 60-Jährige, die berufstätig seien und nicht schwer erkrankten.
Auch die 1500 positiv Getesteten von insgesamt 7000 Mitarbeitern des
Fleischkonzerns Tönnies im Kreis Gütersloh seien so leicht erkrankt,
dass sie weiter gearbeitet hätten.

Am Wochenende waren in Hamburg an beiden Tagen insgesamt 16 neue
Infektionen gemeldet worden - zehn am Samstag und sechs am Sonntag.
Damit hat die Hansestadt in den vergangenen sieben Tagen lediglich 34
Neuinfektionen registriert. Acht Menschen müssen derzeit noch
intensivmedizinisch behandelt werden. Die Zahl der Corona-Patienten
in den Hamburger Krankenhäusern - derzeit 21 - sinkt nur sehr
langsam. Zum Teil hätten diese Menschen mehrere Erkrankungen.
Möglicherweise sei das Virus bei ihnen längst nicht mehr nachweisbar,
aber es könne sich die Lungenfunktion verschlechtert oder die
Pflegebedürftigkeit zugenommen haben, erklärte Knobloch. Einen
Durchbruch bei den Therapien gebe es noch nicht.

Wie sich die Sommerreisezeit auswirken werde, könne man
wissenschaftlich seriös nicht sagen. Bei den herkömmlichen
Coronaviren liege die Saisonalität eindeutig im Winter, wenn sich die
Menschen überwiegend in geschlossenen Räumen aufhielten. «Ich
vermute, dass wir in der Gesamtbewertung der Bundesrepublik und
Hamburgs auf sehr niedrigem Niveau sein werden, aber nicht auf das
Niveau null herunterfallen», sagte Knobloch. «Dann sind wir im
Bereich des Zufalls.» Zum Beispiel könne eine Pflegekraft das Virus
in ein Altenheim einschleppen. «Es könnte in Deutschland weitere
Großereignisse wie bei Tönnies oder kleinere regionale Ausbrüche
geben», befürchtet Knobloch.