Expertin: Corona-Zwangspause für schulvermeidende Kinder riskant

Die Corona-Pandemie hat den Schulalltag völlig umgekrempelt. Für
schulvermeidende Kinder kann die Rückkehr in die Schule schwer sein.
Schulpsychologen rechnen in den kommenden Wochen mit mehr Arbeit.

Halle (dpa/sa) - Der Schulausfall während der Corona-Zeit kann aus
Sicht von Fachleuten für Kinder mit Angststörungen auch im Nachhinein
problematisch sein. «Für die meisten Schüler und Schülerinnen mit
Schulangst oder Schulphobie war die Situation nicht günstig», sagte
die Referatsleiterin der schulpsychologischen Beratung beim
Landesschulamt, Carola Wilhayn, in Halle. Die Schulpsychologen und
Schulpsychologinnen im Land rechnen für die kommenden Wochen mit mehr
Beratungsanfragen - und loben zugleich die Arbeit an vielen Schulen.

Die beiden Angststörungen, die im Zusammenhang mit einem Schulbesuch
am bekanntesten seien, seien Schulangst und Schulphobie, erklärte
Wilhayn. Schulangst könne sich entweder als Angst vor einer negativen
Bewertung, etwa der Furcht vor schlechten Noten, oder als eine
soziale Angst, etwa der Angst vor Spott durch andere, äußern. Kinder
mit einer Schulphobie spürten hingegen eher Angst, sich für einen
längeren Zeitraum von ihren engsten Bezugspersonen zu trennen. In
beiden Fällen mieden die Kinder in der Folge die Schule.

Die Corona-Krise sei eine völlig unerwartete Ausnahmesituation
gewesen. «Die Schulen mussten sich innerhalb kurzer Zeit komplett
umstellen und neue Wege finden, um trotzdem mit den Schülerinnen und
Schülern Kontakt zu halten», sagte die Schulpsychologin. Anfangs
seien die schulpsychologischen Angebote daher zweitrangig gewesen.
«Es gab nur vereinzelt Anfragen von Eltern, die mit der Doppelrolle,
auch noch Lehrer zu sein, überfordert waren», so Wilhayn. Auch einige
Telefonate im Kontext häuslicher Gewalt führten die Experten und
Expertinnen der schulpsychologischen Beratungen anfänglich.

Für die Schüler und Schülerinnen mit den Angststörungen könne die

Wiedereröffnung der Schulen zu Schwierigkeiten führen. «Wir rechnen
damit, dass in den kommenden Wochen mehr Beratungsanfragen auf uns
zukommen», sagte Wilhayn. Der Grund: Die betroffenen Kinder würden
womöglich wieder häufiger mit ihren Ängsten konfrontiert werden und
könnten dadurch ein verstärktes Vermeidungsverhalten zeigen. «Bei
Kindern mit Schulphobie sehe ich ein stärkeres Risiko der
Schulvermeidung», so die Expertin. Denn sie waren während der
Schulpause ihren Ängsten vor der Trennung von Zuhause nicht
ausgesetzt und würden nun wieder umso mehr mit dieser konfrontiert.

Auch für Kinder mit sozialen Ängsten könne der Neustart schwierig
sein. «Sie konnten sich während der Corona-Zeit sozial zurückziehen
und im heimischen Schutzraum trotzdem oder vielleicht sogar besser
ihre Leistungen zeigen», sagte Wilhayn. Nun würden die Ängste, etwa
vor Hänseleien oder mündlichen Vorträgen vor der Klasse, wieder
aufkommen. Für Kinder mit Angst vor einer Leistungsbewertung sei eine
Prognose schwieriger. «Die meisten Lehrkräfte sind vorsichtig an das
Thema Leistungsbewertung herangegangen», lobte die Expertin. Die
Angst vor schlechten Noten sei daher womöglich noch nicht so präsent.

Nach Angaben des Sozialministeriums im Land sind die Aufgaben der
Schulpsychologen und Schulpsychologinnen vielseitig. Sie
unterstützten nicht nur die Kinder, sondern auch deren Eltern und
Lehrkräfte bei schulbezogenen Fragen - oft in Zusammenarbeit mit
Sozialarbeiter, Vertrauenslehrkräften oder dem Jugendamt. Das kann
Themen wie Lern- und Verhaltensschwierigkeiten, aber auch
Krisensituationen betreffen. Darüber hinaus bieten die Fachleute
Fortbildungen für Lehrer und Lehrerinnen an.

In der Regel zeige die Schule einen Beratungsbedarf beim
Landesschulamt an, hieß es. Auch Eltern könnten im Einzelfall direkt
oder über die Schule ihres Kindes den Kontakt zu den Beratenden
herstellen. Insgesamt gebe es 25 Schulpsychologinnen und
Schulpsychologen in Sachsen-Anhalt, erklärte Wilhayn. Die Prävalenz -
sprich die Häufigkeit aller Fälle - liegt bei den Angststörungen von

Kindern bei etwa zehn Prozent.

Für Kinder mit sozialen Ängsten oder jenen, die Sorge hätten, den
Leistungsanforderungen nicht gewachsen zu sein, könne der Neustart
nach Corona aber auch eine Chance sein, betonte Wilhayn. Mitunter
hätten die Schülerinnen und Schüler während der Phase der
Schulschließung gemerkt, dass ihnen die Schule doch gefehlt habe.
Wichtig sei, stets den individuellen Fall zu betrachten und die
Ursachen für das schulvermeidende Verhalten zu finden.

Mit Blick auf die Sommerferien rät die Schulpsychologin, die Zeit zu
nutzen. «Jeder hat sich die Sommerzeit verdient», sagte Wilhayn.
Eltern von Kindern mit Ängsten könnten die Situation aber dafür
verwenden, sich beraten zu lassen und zu informieren. Die Beratungen
der Schulpsychologen und Schulpsychologinnen sind nach Angaben des
Sozialministeriums kostenlos.