Ärztepräsidentin gegen Immunitätsausweis: «Etikettenschwindel»

Soll künftig im Impfpass stehen, dass man bereits eine Infektion mit
dem neuartigen Coronavirus durchgemacht hat? Niedersachsens
Ärztekammerchefin Martina Wenker lehnt dies aus medizinischen und
ethischen Gründen ab.

Hannover (dpa/lni) - Niedersachsens Ärztekammerpräsidentin Martina
Wenker hat sich gegen die Einführung eines Corona-Immunitätsausweises
ausgesprochen. Notwendig sei zunächst der wissenschaftliche Nachweis,
dass die Bildung von Antikörpern tatsächlich zu einer lebenslangen
Immunität führe, sagte die Lungenfachärztin der dpa. Dazu gebe es
noch keine valide Langzeituntersuchung.

«Ein Antikörpernachweis ist nicht viel wert: Er sagt mir nicht, ob
ich die Krankheit nicht noch einmal bekommen kann und auch nicht, ob
ich nicht noch andere Menschen anstecken kann», erläuterte sie. Neben
den medizinischen Gründen sprechen aus Wenkers Sicht ethische Gründe
gegen die Einführung eines solchen Ausweises.

Das Bundeskabinett hatte sich bereits Ende April mit dem Thema
befasst. Für den Fall, dass es demnächst gesicherte Erkenntnisse zur
Immunität nach einer Corona-Infektion geben sollte, soll eine
Bescheinigungsmöglichkeit dafür kommen - ähnlich wie im Impfpass.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat aber zunächst den
Deutschen Ethikrat um eine Stellungnahme gebeten. Das Gremium berät
zurzeit über das Thema. Neben der Opposition hatte sich auch
SPD-Chefin Saskia Esken skeptisch über Pläne für Immunitätsnachweis
e
geäußert.

Ärztekammerchefin Wenker kritisierte, dass ein Hamburger
Start-Up-Unternehmen bereits Immunitätsausweise angekündigt habe.
«Das ist ein Etikettenschwindel», sagte sie. «Ich halte es für
ausgesprochen gefährlich, hier eine Scheinsicherheit zu suggerieren.
Da hört das Geschäftemachen auf.»

Mit dem Anreiz eines solchen Ausweises stehe zudem zu befürchten,
dass sich Menschen bei Corona-Partys ähnlich wie bei Masern-Partys
ansteckten, sagte Wenker: «Dieses kann schlimmstenfalls zu einer
unkontrollierten Überlastung unseres Gesundheitssystems führen.»
Ältere und Risikogruppen, die eine Infektion mit dem neuartigen
Erreger vermeiden müssten, würden dann möglicherweise als
Mundschutzträger stigmatisiert.

«Mich erinnert das an den Beginn der Aids-Epidemie in den 80ern»,
sagte die Medizinerin. «Spätestens seit Aids ist klar, dass eine
Kategorisierung von Menschen, die infiziert werden oder andere
infizieren könnten, nicht nur falsch ist, sondern die Bekämpfung von
Infektionskrankheiten erheblich erschwert.»