Vom Lockerer zum Lockdowner - Laschet in der Defensive Von Dorothea Hülsmeier, dpa

Erst Öffnungen, jetzt Verbote - NRW-Ministerpräsident Laschet kämpft

mit dem bisher größten Corona-Infektionsgeschehen in Deutschland.
Sein Krisenmanagement steht unter besonderer Beobachtung. Denn
Laschet hat große politische Ziele.

Düsseldorf (dpa) - Geplant hatte Armin Laschet einen Aufschlag für
ein milliardenschweres Corona-Konjunkturprogramm - doch dann musste
der NRW-Ministerpräsident sein Krisenmanagement nach dem
Corona-Ausbruch in der Tönnies-Fleischfabrik im Kreis Gütersloh
rechtfertigen. Der «Lockerungsmeister», der sich immer wieder für
vorsichtige Öffnungen statt weitgehender Einschränkungen stark
gemacht hatte, geriet am Mittwoch im Landtag in Düsseldorf in die
Defensive.

In einer Unterrichtung verteidigte Laschet, Anwärter auf den
CDU-Bundesvorsitz und potenzieller Kanzlerkandidat, den als zu spät
kritisierten Lockdown in den Kreisen Gütersloh und Warendorf. Auf
Laschet sind bundesweit und auch im Ausland viele Blicke gerichtet.
Denn der Corona-Ausbruch beim Fleischriesen Tönnies mit weit mehr als
1500 Infizierten führte zu einer beispiellosen Maßnahme: Erstmals
wurde in Deutschland in gleich zwei Landkreisen das öffentliche Leben
wieder weitgehend heruntergefahren - zunächst nur für eine Woche.

Betitelt war Laschets kleine Regierungserklärung zwar mit den Worten
«Verantwortungsvolle Normalität gestalten» - doch normal ist in
Gütersloh und Warendorf gar nichts mehr. Man mute den Menschen viel
zu, sagte Laschet. Durch die breite Streuung der Wohnorte der
Tönnies-Belegschaft berge der Ausbruch ein «enormes Pandemie-Risiko».

Wie weit sich das Virus in der Bevölkerung ausgebreitet habe, könne
noch niemand sagen.

Nicht die Rolle des Lockerers, sondern des Verbieters kommt in der
Corona-Krise jetzt auf Laschet zu. NRW sei bundesweit «das erste
Land», das aus Vorsicht eine Region «komplett zurückführt», sagte
er.
Sein politisches Prinzip sieht der Aachener in einem Dreiklang:
zuhören, abwägen und dann Entscheidungen treffen. Dutzende Gespräche

mit Gesundheitsbehörden und Bürgermeistern vor Ort bis hin zu
Ministerpräsidenten-Kollegen wie Markus Söder (CSU) und Stephan Weil
(SPD) in Niedersachsen hat Laschet in den vergangenen Tagen geführt.
Im Landtag sagte er dann: «Es ist eine Abwägung erforderlich.» Ihn
wundere es immer wieder, wie schnell manche bereit seien,
Einschränkungen der Grundrechte vorzunehmen.

Oppositionsführer und SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty (SPD), warf
Laschet hingegen Führungsschwäche vor: Rheda-Wiedenbrück, der Sitz
der betroffenen Fleischfabrik, sei «heute der größte Virus-Hotspot in

ganz Europa». Der Corona-Ausbruch sei schlimmer als in Heinsberg und
Ischgl. Die Landesregierung habe zu lange damit gezögert, durch
entschlossene Maßnahmen «zu verhindern, dass eine zweite
Infektionswelle über Deutschland und Europa kippt». Kutschaty warf
Laschet Alleingänge vor: «Weil Sie mit dem Kopf durch die Wand und
als schillernder Sieger vom Platz gehen wollen.»

Dass der Landtag erstmals seit rund drei Monaten wieder in
Vollbesetzung tagte, trug zur hitzigen Stimmung bei. Die Attacken der
199 Abgeordneten wurden allerdings durch eine Art «Corona-Visier»
gedämpft. Jeder Abgeordnete saß hinter einem Kasten aus Acrylglas.

Laschet verwies wie immer auf die Erfolge in NRW im Kampf gegen das
Virus. «Wir konnten, von lokalen Ausbruchsgeschehen wie Coesfeld und
Gütersloh abgesehen, die landesweite Ausbreitung des Virus deutlich
verlangsamen.» In vielen Kreisen würden die Krisenstäbe
zurückgefahren. Dazu kämen milliardenschwere Wirtschaftshilfen.

«Sowohl den Lockdown durchzusetzen als auch die Folgen und Schäden
der Pandemie im Blick zu haben, ist der Maßstab für die
Landesregierung», sagte Laschet. «Wir müssen einen Weg finden, wie
wir mit dem Virus leben, ohne dass wir das ganze Land auf Monate oder
noch längere Zeit komplett herunterfahren.»

Die Grünen warfen Laschet daraufhin einen Schlingerkurs in der
Corona-Krise vor. Zuerst «Zauderer» etwa beim Thema Maskenpflicht,
dann der «Mahner» («Es geht um Leben und Tod»), dann «Mister Exit
an
der Spitze der Lockerungspropagandisten», spottete
Grünen-Fraktionschefin Monika Düker. «Und nun wird der Lockerer
wieder zum Lockdowner.»

Auch aus anderen Bundesländern kommt Gegenwind für Laschet. Sie
befürchten, dass Urlauber aus Gütersloh infiziert sein könnten und
das Virus nach Bayern oder an die Nord- und Ostsee bringen. In Bayern
etwa sollen Beherbergungsbetriebe bald keine Menschen aus solchen
Kreisen mehr aufnehmen dürfen, wo die Zahl der Corona-Neuinfektionen
eine gewisse Marke überschreitet - es sei denn, sie haben einen
aktuellen negativen Corona-Test in der Tasche. In Gütersloh standen
am Mittwoch bereits Menschen, die zum Ferienbeginn in NRW am
Wochenende nach Bayern fahren wollten, für Tests in den Schlangen.

«Eines geht nicht: dass man die Menschen aus dem Kreis Gütersloh
öffentlich stigmatisiert», rief Laschet im Landtag. «Ich stelle mich

vor die Menschen in Gütersloh.» Er habe mehrmals mit Söder
telefoniert. Dieser habe versichert, Menschen aus Gütersloh seien
willkommen, wenn sie auf das Coronavirus getestet worden seien. Das
erwarte er auch von den norddeutschen Bundesländern.

Söder und Laschet vermeiden es zwar, sich gegenseitig zu kritisieren.
Aber kleine Sticheleien zwischen den beiden mächtigen
Ministerpräsidenten, die jeweils als Kanzlerkandidat gehandelt
werden, gibt es doch. So sagte Söder, man habe sich schon ein
«bisschen gewundert», warum die Menschen in den Corona-Hotspots nicht
von Anfang an für eine Woche oder zehn Tage in Quarantäne mussten.
Laschet stichelt aus dem Landtag zurück: Er erwarte von jedem
Regierungschef, dass er beim Aufstehen darüber nachdenke, ob
Grundrechtseingriffe noch nötig seien. Man dürfe nicht jeden Morgen
überlegen: «Was könnte ich noch einschränken und verbieten?»